Die russische Spende (Stationsarzt Dr. Felix Hoffmann) (German Edition)
Drohung, ja mal überprüfen. Aber ich hatte mich getäuscht, um solche Peanuts ging es ihm heute nicht.
»Ich will ganz ehrlich sein, meine Damen und Herren.« (»Hört, hört« aus den hinteren Reihen.) »Ich fürchte, wenn wir uns nicht auf einschneidende Maßnahmen einigen können, müssen wir auch im ärztlichen Bereich über Entlassungen reden.«
Totenstille im Raum. Zauberkünstler Bredow hatte uns kurz in den Zylinder schauen lassen. Und was wird dort sahen, war kein Kaninchen, sondern das Vorzimmer zu einer ungeheizten Hölle. Aber ich kannte inzwischen Bredows Methode. Die große Drohung würde nur taktisch sein, um ein anderes Ziel zu erreichen.
»Niemand, und ich gewiß als allerletzter, das darf ich Ihnen versichern, ist an Entlassungen im ärztlichen Bereich interessiert. Entlassungen führen immer zu schlimmen Härten. Entlassungen zu vermeiden allerdings bedingt Solidarität. Solidarität unter Ihnen. Nach Berechnungen meiner Abteilung könnten wir – wenigstens vorerst – Entlassungen im ärztlichen Bereich vermeiden, wenn wir auf die Bezahlung von Überstunden verzichten.«
Die Stille im Raum bekam eine neue Qualität. Finanzierungspläne für Eigentumswohnungen, Urlaubspläne, Alimentzahlungen, der neue Wagen – jeder von uns stellte seine eigene ernüchternde Berechnung an.
Heinz Valenta von der Intensivstation quälte seine gesamten hundertsechs Kilo aus dem engen Stuhl und strebte in Richtung Tür.
»Da kann ich gleich bis Weihnachten in Urlaub gehen, bis alle Überstunden abgebummelt sind, die ich noch nicht eingereicht habe.«
»Bitte setzen Sie sich wieder, Dr. Valenta.«
Es war immer wieder erstaunlich für mich, daß Dr. Bredow uns alle mit Namen kannte, immerhin sind wir fast fünfzig Ärzte.
»Sie haben die Situation nicht richtig verstanden. Ich rede nicht von Freizeitausgleich. Überstunden können in der Zukunft in keiner Form mehr vergütet werden, weder finanziell noch durch Freizeitausgleich. Dieser Klinik fehlt einfach das Geld.«
»Vielleicht machen nicht wir zu viele Überstunden, sondern Ihre Abteilung zu wenige. Vielleicht wird hier einfach falsch gewirtschaftet.«
Heinz Valenta konnte sich eine solche Bemerkung erlauben. Einmal hatte er reich geheiratet, außerdem gehörte er mit mir und Marlies zu den wenigen Ärzten mit einer unbefristeten Dauerstelle aus der Zeit vor der Privatisierung. Sollte es zu Kündigungen kommen, würde es ihn kaum treffen.
Professor Dohmke vom Labor sprang seinem Freund Dr. Bredow zur Seite. Seine Leute waren nicht bedroht, im Labor fallen praktisch keine Überstunden an. Fast alle Untersuchungen werden von Analyseautomaten durchgeführt, und um den Rest kümmern sich fleißige MTAs. Die Laborärzte haben eher das Problem, die Zeit bis zum Feierabend totzuschlagen, um dann ausgeruht bei einer Praxisvertretung die Differenz vom zweitürigen Opel Corsa zum Saab Cabrio zu erwirtschaften.
»Ich weiß auch nicht, wie es zu den vielen Überstunden kommen kann. Als junger Arzt habe ich ganz alleine eine Station mit über vierzig Patienten betreut. Heute haben unsere Stationen rund zwanzig Betten und sind mit zwei Ärzten besetzt.«
Nun war auch ich sauer.
»Das liegt einfach daran, Herr Dohmke, daß zu Ihrer Zeit zum Beispiel ein Patient mit Herzinfarkt erst einmal vier Wochen still im Bettchen lag, und dann haben Sie noch einmal vier Wochen gebraucht, ihm das Aufstehen wieder beizubringen. Mehr lief doch damals nicht. Inzwischen bleiben die Infarktpatienten im Schnitt neun Tage bei uns, und in dieser Zeit werden sie lysiert, herzkathetert, und im Zweifel dehnen wir ihnen die engen Kranzgefäße auf, auch nachts. Wenn es sein muß, bekommen sie noch einen Schrittmacher oder einen Defibrilator eingebaut. Und das gilt für die anderen Fächer genauso.«
Allgemeine Zustimmung, die anderen Fächer erzählten, wie auch sie von Jahr zu Jahr die Taktfrequenz für das Patientenfließband erhöht hatten. Hartmut von der Chirurgie benutzte den Begriff der Patienten-Turnover-Rate, wahrscheinlich, damit Bredow ihn besser verstand.
Professor Kindel war der einzige, der den Überblick behalten hatte.
»Liebe Kollegen! Ich denke nicht, daß Ihr Fleiß und die Notwendigkeit von Überstunden in Frage gestellt werden. Der Punkt scheint mir zu sein, daß dem Krankenhaus Geld fehlt. Also müssen wir Personal abbauen, oder Sie verzichten auf die Bezahlung der Überstunden. Und ich denke, schon aus Solidarität können wir uns nur für die
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