Die russische Spende (Stationsarzt Dr. Felix Hoffmann) (German Edition)
unangenehmen Neuigkeiten beibringen. Was nicht hieß, daß Dohmke damit ein Problem gehabt hätte.
»Meine Damen und Herren, Sie alle wissen um die prekäre Finanzsituation unserer Klinik. Wie prekär sie wirklich ist, mögen Sie der Tatsache entnehmen, daß Verwaltungsleiter Dr. Bredow Ihnen heute persönlich die aktuelle Lage und die Konsequenzen daraus schildern wird.«
Die Kollegen von der Chirurgie hatten seine Anwesenheit bisher gar nicht bemerkt, ein Raunen ging durch die Reihen. Dr. Bredow war ein ziemlich unauffälliger Typ. Eher klein, immer korrekt, aber unauffällig gekleidet, sah er eher wie ein Oberbuchhalter aus – der er letztlich auch war. Es hieß, er habe seine Führungsstelle bei uns bekommen, nachdem er sich in einer kleineren Klinik als erfolgreicher Sparkommissar bewiesen hatte. Daneben mußte er auch einen Rhethorikkurs mitgemacht haben, seine Beiträge zeigten immer den gleichen Aufbau: Lob, Tadel, die Bombe platzen lassen und die Kurve zu einem versöhnlichen Bla-bla-Abschluß finden. Er hätte sich diesen Aufbau, insbesondere den Teil mit dem Lob, allerdings sparen können, denn eines war allen klar: Bredow mochte uns Ärzte nicht besonders, und wir mochten Bredow nicht.
Er begann also erwartungsgemäß mit dem Abschnitt Lob: »Ich weiß, meine Damen und Herren, wie fleißig und engagiert Sie alle arbeiten. Ich darf Ihnen auch danken für Ihre bisherigen Bemühungen zur Kostenreduktion. Seit unserer Verständigung über einige Punkte im letzten Herbst sind so die Arzneimittelkosten auf fast allen Stationen erheblich gesunken. Auf der Intensivstation um sechzehn Prozent, auf der Nephrologie um elf Prozent, in der Gynäkologie um achtzehn Prozent. Da sehen Sie, welche Einsparpotentiale vorhanden sind, wenn man sich nur die Mühe macht, sie zu finden. Leider gibt es ein paar Abteilungen, die das Ziel noch nicht erreicht haben.«
Mein Chef, Professor Kindel, schien gerade ein ihm bisher vollkommen entgangenes Detail auf dem Gemälde »Heide im Frühsommer« entdeckt zu haben, wir Kardiologen hatten in den letzten sechs Monaten unser Arzneimittelbudget um sieben Prozent überschritten.
»Aber ich bin sicher, daß auch diese Abteilungen nun kräftig nachziehen werden.«
Pause, neues Thema. Noch Lob, in diesem Fall aber Eigenlob.
»Auch unser Outsourcingkonzept war sehr erfolgreich.«
Man erzählte sich, daß Dr. Bredow vor Antritt seines ersten Klinikjobs einen Schnellkurs in medizinischem Latein gemacht hätte, um zu verstehen, wovon die Ärzte reden, und wie groß seine Enttäuschung gewesen war, als er feststellen mußte, daß die moderne Medizin in Amerikanismen stattfindet. Jetzt hatte er wohl einen Schnellkurs in Managementenglisch gemacht und zahlte es uns heim. Aber er übersetzte gleich für uns.
»Outsourcing, die Vergabe gewisser Leistungen an Fremdfirmen, hat ebenfalls zu ganz erheblichen Einsparungen geführt, zum Beispiel haben wir letztes Jahr dreiundzwanzig Prozent weniger für die Reinigung ausgeben und im Cateringbereich über dreißig Prozent gespart.«
Ich fragte mich, welchen Bereich Bredow wohl als nächsten outsourcen würde. Vielleicht würde er uns alle entlassen und Arzte bei einer Leasingfirma bestellen?
»Leider, meine Damen und Herren, haben alle diese Maßnahmen uns nicht aus den roten Zahlen gebracht. Sie wissen, wie die Situation aussieht: Über tausend Krankenhausbetten sollen in Berlin abgebaut werden. Wir stehen im Wettbewerb, auch in der Medizin. Nur günstige Anbieter werden überleben. Wo haben wir also noch Einsparpotentiale?«
»Nicht in meiner Abteilung«, wäre die Antwort eines jeden auf diese rhetorische Frage gewesen.
»Ich darf Ihnen jedenfalls sagen, in welchem Bereich wir die höchsten Ausgaben haben: im Personalbereich.«
Nun war auch die letzte private Unterhaltung verstummt. Es ging nicht um das Budget für Medikamente oder Verbrauchsmaterial, es ging um uns.
»Ich darf Sie daran erinnern, daß bei weitgehend konstanter Bettenkapazität die Zahl der Arztstellen seit 1985 um fast fünfzig Prozent zugenommen hat. Immer wieder wurde mir von Ihnen versichert, daß neue Arztstellen zu einem Abbau von Überstunden führen würden. Leider, das Gegenteil war der Fall. Sie rechnen im Moment mehr Überstunden als je ab.«
Das war eine der für Dr. Bredow typischen kleinen Gemeinheiten. Wir »rechnen Überstunden ab« – das heißt für ihn noch lange nicht, daß wir sie auch wirklich erbringen. Er könnte das, so verstand ich seine
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