Die russische Spende (Stationsarzt Dr. Felix Hoffmann) (German Edition)
sonderlich interessiert an.
»Ja was nje ponimaju. Ja nje goworju po-nemjezki.«
Einer der wenigen Nachteile, daß ich auf der westlichen Seite der Mauer aufgewachsen bin – ich spreche kein Russisch. Automatisch verfiel ich in dieses alberne »ich nix verstehen«, mit dem wir es Ausländern bei uns unmöglich machen, Deutsch zu lernen.
»Ich – suchen – Mischa Tschenkow. Er Towarisch von mir.«
Der Russe hob andeutungsweise die Schultern.
»Ja was nje ponimaju. Ja nje goworju po-nemjezki.«
»Welches Zimmer Mischa? Können Sie mir Zimmer zeigen von Mischa?«
Keine Reaktion. Mein Ich-nix-verstehen-Deutsch ging mir langsam selbst auf die Nerven.
»Hören Sie, mein Freund. Ich bin nicht von der Polizei und auch nicht von der Ausländerbehörde. Ich bin Arzt. Mischa Tschenkow war mein Patient. Im Krankenhaus. Letzten Oktober. Und jetzt ist er tot. Ich möchte herausfinden, warum er tot ist. Wann hat er angefangen, gelb zu werden? Hatte er Fieber? War er zwischendurch zu Hause, in der Ukraine? Hatte er Besuch? Freunde?«
Ich bekam keine Antwort, es war sinnlos. Der Mann im Trainingsanzug wollte mich nicht verstehen. Wahrscheinlich hatte er seine Erfahrungen mit deutschen Behörden. Oder aber strikte Anweisungen, wie er sich Fremden gegenüber zu verhalten habe. Ich überlegte, ob ich vielleicht ein paar Scheine über den Tresen schieben sollte, aber meine Brieftasche war im Wagen. Oder inzwischen geklaut.
»Einen schönen Tag noch, Towarisch, und vielen Dank. Sie waren eine große Hilfe.«
Als ich aus dem Haus trat, wo noch immer die beiden jungen Männer standen, war es noch fast so warm wie am Mittag. Die Türen meines Golfs hatte ich wie üblich nicht abgeschlossen, meine Brieftasche lag unberührt auf dem Beifahrersitz. Und selbst die reichlich vorhandenen Kratzer hatten sich nicht vermehrt. In einem kleinen Bistro in der Fasanenstraße bestellte ich einen Cappuccino. Der Kaffee kam aus Italien, die Bedienung aus Polen, das Publikum weitgehend aus Rußland.
Die Fasanenstraße, schon immer eine elegante Seitenstraße des Kurfürstendamms, ist ein schönes Beispiel für das konstante Element in der Geschichte. Vor dem Krieg weitgehend von reichen Exilrussen bewohnt, ist sie nach dem Fall der Mauer erneut zu einer russischen Straße geworden. In ihren exklusiven Modeboutiquen und bei noch exklusiveren Juwelieren werden täglich Hunderttausende an Mark und Rubel umgesetzt mit Russen, die im Gegensatz zu ihren Landsleuten in der Pension Elvira den Wechsel zum Kapitalismus als Gewinner erlebt haben.
Um mich herum saßen die russischen Muttis mit ihren grell geschminkten Gesichtern und zeigten einander die Beute des Tages, während ihre Kinder derweil laut kreischend in Armani-Klamotten quer durch das Bistro tobten. Unauffällig stellte ich einem besonders lauten Krakeeler ein Bein. Er fiel ganz wunderbar auf die Nase, schrie aber noch lauter als vorher. Ich zahlte und fuhr nach Hause. Mein total asoziales Verhalten, einem dieser unschuldigen Menschenkinder erfolgreich ein Bein gestellt zu haben und das auch noch unbemerkt von seinen Eltern, hatte mich für meinen Mißerfolg in der Pension Elvira vorerst voll entschädigt.
5
Ich wartete immer noch auf die alte Krankenakte von Mischa, inzwischen hatte ich drei oder vier Anforderungsscheine an das Patientenarchiv geschickt. Es wurde Zeit, den ABM-Sparkräften dort etwas Dampf zu machen. Die hatten allerdings gegen lästige Störungen vorgesorgt und offenbar den Hörer neben das Telefon gelegt, den ganzen Vormittag bekam ich nur ein Besetztzeichen.
Die Stimmung unter den Kollegen war nervös, am Nachmittag war eine große Konferenz für alle Ärzte und Chefärzte mit Verwaltungsdirektor Dr. Bredow angesetzt. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Die Gerüchteküche hatte sich weitgehend auf das Konferenzthema »neue Sparmaßnahmen« geeinigt, nur über die Art der drohenden Einsparungen gab es die verschiedensten Vermutungen. Wahrscheinlich, so meinten die meisten, würde man uns das Budget für Medikamente und Verbrauchsmaterial pro Station weiter kürzen.
Es sollte schlimmer kommen.
Die Konferenz fand in der Cafeteria statt, dem einzigen Raum mit genug Sitzkapazität. Das bedeutete allerdings nicht, daß uns Verwaltungsleiter Dr. Bredow Brötchen oder Kuchen spendierte.
Professor Dohmke, wie gesagt Chefarzt des Labors und derzeitiger ärztlicher Direktor unserer heilsamen Einrichtung, faßte sich kurz. Sollte doch der Herr Verwaltungsleiter uns die
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