Die russische Spende (Stationsarzt Dr. Felix Hoffmann) (German Edition)
Leichenschauschein mit der verweigerten Sektion auftauchte, erst recht, als das Einsatzprotokoll vom Notarztwagen verschwunden war. Nur, welchen Grund sollte er haben, meine stationäre Akte vom Oktober aus dem Verkehr zu ziehen? Und eines ist sicher: Er kann sich nicht selbst plötzlich seine USA-Reise genehmigt haben.«
Celine begann, an ihren Fingernägeln zu kauen. Als Mathematikerin war sie überzeugt, daß Probleme grundsätzlich lösbar sind, findet man nur den richtigen Lösungsweg.
»Und wer steckt tatsächlich hinter der Sache?«
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung«, antwortete ich.
Das war die reine Wahrheit. Aber letzte Nacht war mir ein beunruhigender Gedanke gekommen.
»Ich habe mich schon gefragt, ob mir jemand den toten Mischa anhängen will. Auf einmal könnten Einsatzprotokoll und die stationäre Akte wieder auftauchen, in einer leicht korrigierten Version, in der plötzlich Dr. Hoffmann einen Patienten auf dem Gewissen hat.«
»Und warum sollte jemand dir einen toten Ukrainer anhängen? Mit wessen Frau hast du es zuletzt getrieben?«
»Celine, wir haben inzwischen ziemlich amerikanische Verhältnisse an der Klinik, vorbei der gute alte Job auf Lebenszeit. Jeder meiner lieben Kollegen könnte auf meine Dauerstelle spekulieren.«
»Sogar deine Freundin Marlies?« fragte Celine mit unschuldigem Blick.
»Im Zweifel auch meine Freundin Marlies. Oder die Verwaltung, um mich gegen einen billigen AIPler auszutauschen. Im Moment ist in dieser GmbH-Klinik alles möglich.«
Ich schwieg einen Moment und betrachtete das friedliche Treiben auf der Autobahn.
»Aber ich glaube eigentlich nicht an eine Kollegenverschwörung. Zumal auch keiner von denen Schreibers Abreise hätte genehmigen können, so wenig wie Schreiber selbst.«
Celine intensivierte die Arbeit an ihren Fingernägeln.
»Also müssen wir eine Ebene höher gehen. Wenn es da einen Zusammenhang gibt, mindestens eine Ebene. Oder zwei oder drei. Ich weiß es nicht.«
Celines Jagdinstinkt war geweckt. Sie nahm ihre Ich-denke-angestrengt-nach-Position ein, die Hände um die angezogenen Knie gefaltet und die Augen streng nach vorne. Angestrengtes Nachdenken führt bei Celine fast immer zum selben Effekt.
»Ich glaube, ich muß mal dringend pinkeln.«
»Ihr Mädels könnt nicht pinkeln. Würdet ihr gerne, weiß ich, könnt ihr aber nicht. Ihr könnt puschen. Vielleicht sogar noch Pipi machen, aber nicht pinkeln.«
Celine war schon halb aus dem Wagen in Richtung Böschung.
»Schwanzchauvinist!«
Celine löste eine allgemeine Wanderung in die Büsche neben der Autobahn aus. Plötzlich schien es bei über siebzig Prozent unserer Leidensgefährten im Stau zur Wahrnehmung eines unerträglichen Drucks auf der Blase gekommen zu sein. Herren links, Damen rechts und Kinder auf dem Mittelstreifen. Es wurde kollektiv gepinkelt, gepuscht und Pipi gemacht. Im Deutschlandfunk kamen die aktuellen Staumeldungen für Deutschland. Unser Stau war mit acht Kilometern nur Mittelmaß.
Irgendwann spätabends waren wir glücklich zurück in Berlin. Celine blieb bei mir, was selten war. In der Regel schliefen wir lieber getrennt in unseren eigenen Wohnungen. Das Abendessen beschränkten wir auf Käse, Salat und Vino. Kurz vor dem Einschlafen fielen mir meine vergrabenen Muscheln ein. Wir müßten bald wieder nach Schlepzig fahren. Vielleicht würde inzwischen jemand anderes die Südseemuscheln im Spreewald finden und sich gewaltig wundern.
Mitten in der Nacht weckte mich Celine mit einem Stoß in die Rippen, als geübter Nachtdienst-Doktor war ich sofort hellwach. Celine saß im Bett und war offensichtlich zu einer Entscheidung gekommen, die sie mir ohne Rücksicht auf meinen Schlaf mitteilen mußte.
»Ich glaube nicht an einen Kunstfehler. Das reimt sich nicht zusammen. Natürlich, nach außen hin muß die Klinik Kunstfehler vertuschen oder abstreiten, aber doch nicht innerhalb der Klinik. Und wegen eines Kunstfehlers in der Klinik hätte man dich nicht aus dieser Pension geworfen. Da steckt etwas ganz anderes dahinter.«
»Und was steckt dahinter?« fragte ich Celine, »eine Verschwörung?«
Celine liebt Verschwörungen. Sie ist bis heute überzeugt, daß hinter dem AIDS-Virus die Biolabors des CIA stecken mit dem Versuch, die Schwarzen auszurotten. Die Wiedervereinigung in Deutschland war in ihren Augen ein gelungener Coup der westdeutschen Großindustrie mit viel Geld für Gorbatschow und den KGB, um an die siebzehn Millionen Auto-, Video- und
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