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Die Saat der Bestie (German Edition)

Die Saat der Bestie (German Edition)

Titel: Die Saat der Bestie (German Edition)
Autoren: Michael Dissieux
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den Vordergrund.
    Sam scheint zu bemerken, dass mit David etwas vorgeht. Sie nickt langsam, ihre Augen betrachten ihn voller Skepsis und mit einem seltsam harten Ausdruck. Sie wendet sich ab und geht mit schleppenden Schritten zum Ende des Steges zurück. Dort dreht sie sich noch einmal um; der Schatten eines Menschen, mit dem der Wind spielt.
    Einige Sekunden sehen sie sich an. Zwei Fremde in einer fremden Welt. Die letzten ihrer Art. Dann legt sie sich das Gewehr über die Schulter – in der gleichen Art, wie David es immer tut – und geht langsam die Straße entlang.
    David sieht ihr nach, das Gewehr noch immer in Hüfthöhe, mit zusammengekniffenen Augen und einem harten Zug um den Mund. So wie seine Westernhelden von damals, wie John und Clint.
    Die Kälte kommt nicht vom Wind, das weiß er jetzt. Es ist seine eigene Kälte, die ihn zu schützen versucht. Doch sie macht ihm Angst.
    Sam wird kleiner und verschwindet, als hätte es sie nie gegeben. Ein Gespenst in einer toten Welt.
    Es ist die Kälte dieser Welt, die David erfüllt.
    Seine Kälte.
    Seine Welt.
    Seine Stadt.
    Er dreht sich um, setzt sich wieder auf den Steg und legt das Gewehr neben sich. Sein Blick sucht die Skelette einstiger Moderne jenseits des teilnahmslosen Wassers. Wieder stellt er sich die Geräusche einer lebhaften Stadt vor, so wie sie früher einmal gewesen ist. Laut, stinkend und pervers. Doch diesmal bleibt alles still in seinem Kopf.
    Dann denkt er an Sams Stimme. Sie scheint das Sprechen nicht gewohnt zu sein. Ihre Worte waren nicht mehr als ein heiseres Kratzen, ihre Augen verbrannte Erde.
    Später wird er Lilly von ihr erzählen. Und vielleicht auch dem toten Mann im Spiegel. Er wird ihnen von der Kälte in sich erzählen, die ihn so sehr erschreckt.
    Frank würde er nichts von Sam erzählen. Er hat das Gefühl, dass es besser so ist.
    Jeden Tag stirbt er ein bisschen mehr. Irgendwann wird nichts mehr von ihm übrig sein. Er fragt sich, ob er die Frau je wiedersehen wird …

Sam

    David bleibt noch eine ganze Weile am Pier sitzen. Er betrachtet den Fluss und die Häuser dahinter, aber alles bleibt stumm. Kein Motorenlärm, keine Stimmen, nicht einmal das Summen elektrischer Leitungen, das er sich an anderen Tagen einbildet.
    Sein Kopf ist leer, seine Gedanken auf lautlos geschaltet. Die Stadt, seine Stadt, ist ihm noch nie so still vorgekommen. Selbst der Wind, der die Büsche am Flussufer zum Tanzen bringt, zieht schweigend seine Bahn.
    Das einzige, das er hören kann, ist Sams Stimme. Rau, trocken, und doch die Stimme einer Frau. Sie flüstert wie ein Gespenst in seinen Gedanken.
    Sie war hübsch , denkt er und betrachtet ihre Erscheinung, die er in seinem Verstand abgespeichert hat. Trotz der Umstände und allem, was sie wohl durchgemacht hat, ist sie immer noch hübsch; eine versteckte, unauffällige Schönheit, aber David hatte sie gesehen.
    Seit Kenny ist sie der erste Mensch gewesen, der ihm begegnet ist, und dessen Stimme die alltägliche Stille der Welt durchdrungen hat. David hatte den Jungen gemocht, auch wenn der nur zwei Tage bei ihm geblieben war. Aber damals war David selbst noch ein Mensch gewesen. Ein Mann, der das Ende der Welt nicht akzeptieren wollte und sich jeden Tag verzweifelt einzureden versuchte, dass es noch andere wie ihn geben muss. Heute weiß er, dass er ein Narr gewesen ist. Und er weiß, dass er schon lange kein Mensch mehr ist.
    Manchmal kommen Tiere in die Stadt. Antilopen und Rehe, Waschbären, die die Nähe des Flusses suchen, und zweimal sah er sogar Wölfe, die er mit einem Schuss aus seinem Gewehr vertreiben musste.
    Vielleicht ist er irgendetwas dazwischen – zwischen Mensch und Tier. Während er Kenny gemocht und mit ihm geredet hat, ist ihm Sam fremd erschienen, als wäre sie etwas, an das er sich nicht mehr erinnern kann. Der Umstand, dass er die Frau mit völlig anderen Augen betrachtet als damals den Jungen, ängstigt ihn. Hat er sich selbst in den Monaten der Einsamkeit derart verändert, dass er sich zu Menschen nicht mehr hingezogen fühlt, dass er vielleicht selbst kein Mensch mehr ist?
    Ken war für ihn eine Antwort Gottes gewesen. Ein Zeichen, dass sein Flehen in der Nacht erhört worden war.
    Sam hingegen …
    David starrt in den Fluss, in das stumpfe Glitzern des Wassers.
    Sam hingegen …
    Der Fluss gibt ihm keine Antwort. Auch die Häuser auf der anderen Seite bleiben stumm.
    Als er aufsteht, ist es Nachmittag. Er greift sein Gewehr, legt es wie immer über beide
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