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Die Saat der Bestie (German Edition)

Die Saat der Bestie (German Edition)

Titel: Die Saat der Bestie (German Edition)
Autoren: Michael Dissieux
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Schultern, und hakt die Arme an Schaft und Lauf unter.
    An der Stelle, an der die Frau stand, bleibt er stehen und blickt zurück zu dem hölzernen Steg. In Gedanken kann er ihre Stimme hören, ihre Augen sehen. Ihr schmutziges Haar, das ihr der Wind ins ebenso schmutzige Gesicht trieb. Sonst bleibt alles still. Da gibt es nur Sam in seinem Kopf.

    ***

    Lilly empfängt ihn mit ihrem sanften, kühlen Lächeln, das sie ihm an jedem Tag schenkt. Das letzte Sonnenlicht des Tages scheint auf ihre Gestalt und reißt sie aus der Trostlosigkeit der schmutzigen Schaufensterscheibe. Sie wirkt wie eine Göttin an diesem Tag.
    Irgendwann war David einmal in den Laden gegangen und hatte Lilly ein hübsches Sommerkleid angezogen. Er fand damals, dass sie darin umwerfend aussah. Vielleicht würde er ihr in den nächsten Tagen neuen Lippenstift auftragen. Frauen brauchen nun mal etwas Pflege, und Lilly hat schon immer viel Wert auf ihr Äußeres gelegt.
    Doch an diesem Tag bleibt David einfach nur vor dem Schaufenster stehen, lehnt das Gewehr gegen die Wand daneben und fährt mit der Hand über das kalte Glas.
    Manchmal wünscht er sich, Lilly würde es ihm gleichtun, sodass sich ihre Hände fast berühren könnten. Doch Lilly hat noch nie den Wunsch geäußert, David näher zu kommen. Ihr genügt diese reservierte, jedoch innige Beziehung, und so ist David mit dem zufrieden, was er bekommt. Es genügt, wenn sie ihm zuhört.
    Er beginnt, ihr von Sam zu erzählen. Seine Worte sind leise, fast ein Flüstern. Immerhin hat er Lilly noch nie etwas von einer anderen Frau erzählt. Lilly weiß von Kenny, doch das ist etwas vollkommen anderes. Ken war ein Kind. Sam hingegen ist wie sie. Und David will Lilly nicht verärgern.
    Er erzählt ihr davon, was Sam ihn fragte und er ihr antwortete, nicht aber von dem, was ihn fast seine Kontrolle gekostet hatte. Eine Frau muss nicht alles wissen; schon gar nicht, wenn sie die einzige Frau im Leben ist.
    Es tut ihm gut, über Sam zu reden. Mit jedem Wort spürt er, wie sich etwas in ihm befreit, das die ganze Zeit über gefesselt gewesen ist. Eine Blockade, die es ihm nun ermöglicht, konkreter über die Frau nachzudenken. Es erscheint ihm geradeso, als würden seine Worte etwas Dunkles in ihm vertreiben, das ihn die ganze Zeit über daran gehindert hat, seine Gedanken in klare Bahnen zu lenken.
    David beginnt, Lilly von der Schönheit zu erzählen, die er unter dem Schmutz und dem zerzausten Haar gefunden hat. Von der Kleidung, die gepflegt und neu aussah, und von ihrer Stimme, die trotz aller Rohheit die einer Frau war.
    Lilly hört ihm zu, mit ihrem schwarzgeschminkten Lächeln und den blauen Augen, die David nur dann ansehen, wenn er sich an eine bestimmte Stelle vor dem Schaufenster stellt. An manchen Tagen kann er ihre Antworten in seinem Kopf hören, wie das ferne Flüstern des Windes in den Häuserschluchten der Stadt. Doch heute scheint Lilly nicht zum Reden aufgelegt zu sein. Während das letzte Sonnenlicht hinter den Häusern verschwindet und Lilly in die Schatten des Schaufensters zurückdrängt, fragt sich David, ob es richtig von ihm gewesen ist, ihr von der Frau zu erzählen. Er greift nach seinem Gewehr.
    »Das würde ich lassen!«
    Das eisige Wasser, das sich plötzlich mit seinem Blut vermischt, lähmt für einen Augenblick seine Gedanken. Er steht einfach nur da, in einer albernen Pose, den Arm zum Gewehr ausgestreckt, das Gewicht auf ein Bein verlagert. Dann gewinnt er jedoch seine Beherrschung zurück. Er sieht ins Schaufenster, hinter dem Lilly jetzt fast vollständig verschwunden ist. Stattdessen sieht er die Frau auf der anderen Straßenseite stehen.
    Was die geschlossene Lederjacke von ihrer weißen Bluse offenbart, leuchtet im Fenster wie Lillys Sommerkleid. In ihren Händen hält sie das Schrotgewehr. Der Lauf ist direkt auf ihn gerichtet.
    David weiß, welche Verheerung die Streuung einer solchen Waffe anrichten kann. Während er sich langsam zu Sam umdreht, hebt er die Hände nach oben. Sam scheint zufrieden. Mit vorsichtigen Schritten kommt sie näher, bleibt dann jedoch in der Mitte der Straße stehen. David vermutet, dass sie sich die ganze Zeit über im Hauseingang gegenüber versteckt gehalten hat.
    Hatte sie ihn die ganze Zeit über verfolgt? War sie vielleicht gar nicht vom Fluss weggegangen, sondern hatte ihn über Stunden beobachtet? Der Gedanke lässt in David Wut aufsteigen, sowohl auf die Frau, als auch auf sich selbst. Wie hat er nur so unvorsichtig sein
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