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Die Saat der Bestie (German Edition)

Die Saat der Bestie (German Edition)

Titel: Die Saat der Bestie (German Edition)
Autoren: Michael Dissieux
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können?
    »Du redest gern mit Puppen«, sagt Sam lächelnd und deutet mit dem Lauf in Richtung des Schaufensters.
    David fühlt sich wie ein kleiner Junge, der von seiner Mutter dabei erwischt wurde, wie er sich selbst erkundet. Um seine Verlegenheit herunterzuspielen, zuckt er mit den Schultern. »Mit irgendjemandem muss man reden. Tust du das nie?«
    Seine Stimme, die sicher und belanglos klingen sollte, offenbart stattdessen schonungslos seine Furcht. Sam sieht ihn wortlos an. Das ist ihm Antwort genug.
    »Kannst du das herunternehmen?«
    Er nickt in Richtung des Gewehres. In seinem ganzen Leben wurde noch nie mit einer Waffe auf ihn gezielt. Das Gefühl ist schrecklich.
    »Hast du es getan, als ich dich heute Morgen darum gebeten habe?«
    David kann sich eines Lächelns nicht erwehren. Sam spielt mit ihm. Sie will ihm zeigen, wie sie sich selbst vor wenigen Stunden vor dem Lauf seines Gewehrs gefühlt hat. Ihre Rollen sind vertauscht.
    Er schüttelt immer noch lächelnd den Kopf. »Aber ich habe dir erlaubt, deine Hände herunterzunehmen.«
    Sam starrt ihn an, ohne eine Regung, ohne ein Lächeln. Eine leblose Maske.
    »Dann tu es.«
    David steht noch eine volle Minute mit erhobenen Händen da. Die Stadt scheint während dieser kleinen Ewigkeit noch stiller geworden zu sein. Dann lässt er die Arme langsam sinken, streckt sie jedoch zur Seite hin mit dargebotenen Handflächen aus. Er will nichts riskieren.
    »Warum hast du mich heute Morgen fortgeschickt?«
    Ihre Stimme klingt verbittert. David wägt in Gedanken ab, was er ihr antworten kann. Die Waffe macht ihn nervös.
    »Ich bin es nicht gewohnt, dass Menschen in meine Stadt kommen. Es war nicht persönlich gemeint.«
    Sie sieht ihn an, lässt ihren Blick von seinem Gesicht hinunter zu den Füßen und wieder nach oben wandern, antwortet ihm jedoch nicht.
    »Ich bin Menschen im Allgemeinen nicht mehr gewöhnt.« Er lächelt und ist erleichtert, als sie sein Lächeln erwidert.
    »Niemand ist das.«
    Plötzlich hat ihre Stimme die Härte verloren. Die Worte kommen schleppend aus ihrem Mund, als hätte sie seit Tagen nicht mehr geschlafen.
    »Kannst du mir vielleicht etwas zu essen geben?«
    David lächelt erneut und nickt in Richtung des Gewehrs. »Wenn du endlich mit dem Ding hier in eine andere Richtung zielst.«
    Sam betrachtet ihn weiterhin mit schamloser Offenheit. Für eine volle Minute gleichen sie zwei bewegungslosen Schaufensterpuppen, die irgendjemand auf die Straße gestellt hat. Dann reißt sie das Gewehr nach oben, greift es am Lauf und stützt den Kolben auf ihrer Hüfte ab. David findet, dass die Bewegung etwas Hartes und Erotisches zugleich an sich hat.
    »Ich habe meinen Teil erfüllt«, sagt sie und blickt abwartend zu ihm herüber. In ihrer weißen Bluse und der abgewetzten Lederjacke erscheint Sam plötzlich wie ein Teenager, der darauf wartet, dass sie jemand zum Abschlussball der Schule einlädt; lediglich das Schrotgewehr zerstört die Romantik.
    »Dann will ich meinen auch erfüllen«, antwortet David und deutet mit der Hand auf sein Gewehr. »Darf ich?«
    »Aber keine Spielchen.«
    »Keine Spielchen.« Er nimmt das Gewehr, legt es über seine Schulter und nickt Sam zu. »Komm, ich lade dich zum Abendessen ein.«
    Er deutet in die Richtung, in der sein Haus liegt. Sam sieht an ihm vorbei zum Schaufenster und grinst. »Willst du dich nicht von deiner Freundin verabschieden?«
    David dreht sich zu Lilly um, die sich mittlerweile vollständig in die Schatten des Geschäftes zurückgezogen hat. In Gedanken verabschiedet er sich tatsächlich von ihr, doch er sagt kein Wort.
    »Hier geht´s lang«, wendet er sich an Sam. Gemeinsam gehen sie in der Mitte der Straße.
    David weiß nicht, wie er mit der Situation umgehen soll. Menschen sind fremd für ihn geworden, ebenso das Reden. Kenny war der letzte, mit dem er gesprochen hat.
    Am liebsten würde er zum Fluss zurücklaufen und sich auf den Steg setzen. So, wie er es immer tut, jeden Tag. Doch ein anderer Teil von ihm will mit Sam nach Hause gehen und etwas zum Abendessen bereiten.
    Ein klein wenig fühlt er sich wie in seinem alten Leben.

    ***

    Während David das Essen auf dem alten Gaskocher erwärmt, sitzt Sam auf der Couch und lässt ihren Blick durch das Wohnzimmer wandern. Sie hat ihre aufgesetzte Härte verloren. Als David sie aus den Augenwinkeln heraus beobachtet, sieht er nur eine Frau. Wie er sich eingestehen muss, eine sehr schöne Frau.
    Natürlich haben die letzten Monate Spuren
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