Die Saat der Bestie (German Edition)
an ihr hinterlassen. Ihr Haar ist von grauen Strähnen durchsetzt und ihre Haut wirkt unrein, als hätte sie nicht immer Gelegenheit gefunden, sich zu waschen. Dennoch strahlt durch diese abgehärtete und einsame Maske eine Schönheit, die David nur schwer in Worte fassen kann. In seinem früheren Leben hätte er Sam, wenn sie ihm in ihrem derzeitigen Zustand auf der Straße begegnet wäre, wohl keine Beachtung geschenkt. Sie wäre ein Gesicht in der Menge gewesen, hübsch und doch durchschnittlich. Umgekehrt hätte es sich mit Sicherheit genauso verhalten. Doch zwischen all der Zerstörung und Verheerung, die sie tagtäglich umgibt, erscheint ihm die Frau wie eine Rose, die sich ihren Weg durch Schutt und Zerfall gebahnt hat und ihre Blüte der Sonne entgegenstreckt.
David ist sich sicher, dass Sam in ihrem früheren Leben eine sehr schöne Frau gewesen ist. Er kann sich vorstellen, wie sich ihr dunkles Haar fächerartig über ihre Schultern ausbreitete und leicht in einer Sommerbrise wehte. Ihre Augen, die heute dunkel und müde wirken, strahlten zu einer anderen Zeit einer Sonne entgegen, die heute nur noch eine zerstörte Welt bescheint und die es mit dem Leuchten von Sams Augen in der alten Welt nicht aufnehmen kann. Selbst die Monate der Einsamkeit und Entbehrungen, vielleicht des Hungers und der Flucht, haben Sams Schönheit keinen Abbruch getan. Sie hat zwar die Sinnlichkeit weicher Züge eingebüßt, doch dafür ist eine andere Schönheit zu Tage getreten. Hart, ernst und doch belebend.
David verschüttet Wasser, das er aus einem Kessel in den Topf auf dem Feuer gießen will. Sam blickt in seine Richtung, und er konzentriert sich schnell wieder auf die Zubereitung des Essens. Er will nicht, dass sie ihn dabei ertappt, wie er sie anstarrt. Auch wenn sie eine Frau ist, und auch wenn er seit Darleen nichts vergleichbar Schönes gesehen hat, so ist sie doch eine Fremde. Und vor Fremden muss man sich in Acht nehmen. Das war eine der Lektionen seines Vaters gewesen.
»Was wird das?« Ihre Stimme ist leise.
»Kartoffeln«, antwortet David und wischt das verschüttete Wasser mit einem Lappen weg. »Dazu Würstchen aus der Dose und Kekse.«
Sam lächelt und sieht ihm dabei zu, wie er etwas in dem Topf umrührt. Dann lässt sie ihren Blick wieder durch das Zimmer wandern.
»Deine Wohnung sieht toll aus«, sagt sie nach einer Weile. David sieht sich kurz um und zuckt mit den Schultern. Als er den Kopf dreht, hat er das absurde Gefühl, dass die Welt sich um ihn dreht.
»Viele der Möbel gehören mir nicht. Aber ich wollte sie haben, und keiner wird sie vermissen.«
»Du hast sie einfach aus anderen Häusern geholt?«
David nickt und rührt weiter, nur, um seine Hände zu beschäftigen. Es ist nicht so, dass man Kartoffeln beim Kochen umrühren muss.
»Sagen wir, ich habe mir die Möbel ausgeliehen. Wenn die Besitzer eines Tages entgegen jeder Vermutung wieder auftauchen sollten, werde ich sie selbstverständlich zurückgeben.«
»Gereinigt und gebügelt?«
»Gereinigt und gebügelt.«
Beide lachen, ein Geräusch, das in der neuen Welt nichts zu suchen hat. Doch es klingt gut, wie es sich in dem hohen Raum bricht. Darleen hatte viel gelacht und David mit ihrem trockenen Humor oft angesteckt. Sams Lachen klingt anders, erschöpft und zurückhaltend, aber trotzdem echt. Sie ist eine vollkommen andere Frau als Darleen, aber dennoch eine, die etwas in David weckt, das er zu unterdrücken versucht. Sein Blick wandert zu den beiden Waffen, die neben der Eingangstür an der Wand lehnen. Er glaubt nicht, dass sie die Gewehre gegeneinander noch brauchen werden.
Während sich David auf einen Stuhl setzt und den Gaskocher im Auge behält – etwas, das er ebenso wenig tun muss, wie die Kartoffeln ständig umzurühren – steht Sam auf und geht im Zimmer umher. David findet, dass sie eine umwerfende Figur hat. Der Lichtschein der Öllampen und Kerzen legt sich wie ein zartes Kleid um ihren Körper. Sie ist groß, größer als Darleen. Ihr Körper wirkt hager, durchtrainiert, trotzdem ist es der Körper einer Frau. Wenn sie sich bewegt, hat es den Anschein, als ob sie einen königlichen Tanz voller Würde und Anmut aufführen würde, vielleicht sogar extra nur für David.
Sie geht zum Bücheregal, streicht mit der Hand über die Buchrücken und zieht scheinbar wahllos manche Werke heraus. Einige stellt sie direkt wieder zurück, in anderen liest sie eine Weile.
»Du magst Horrorgeschichten?«
Sie sieht zu ihm rüber
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