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Die Saat der Bestie (German Edition)

Die Saat der Bestie (German Edition)

Titel: Die Saat der Bestie (German Edition)
Autoren: Michael Dissieux
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hoch über dem Tisch und betrachtet Sam von oben. Die feinen, silbernen Streifen in ihrem Haar, die zarten Linien um ihre Augen, die David verraten, dass sie in ihrem alten Leben viel gelacht hat, und ihr ebenmäßig geschnittenes Gesicht, das, trotz aller Härte, die sich in den letzten Monaten hineingeschlichen hat, eine in Marmor gehauene Büste sein könnte.
    David versucht, sich auf das Essen zu konzentrieren. Doch Kartoffeln und Würste scheinen ihren Geschmack verloren zu haben. Er stochert mit der Gabel auf seinem Teller herum und starrt Sam an, während sie ausgehungert isst und ihn keines Blickes würdigt.
    Irgendetwas wird überwiegen , denkt er sich und eine andere Stimme antwortet ihm knurrend aus der Dunkelheit seines Verstandes.
    Irgendetwas wird überwiegen …

    ***

    Später sitzen sie beide am Wohnzimmertisch. Es ist eines der wenigen Möbelstücke, die sich David nicht aus der Nachbarschaft besorgt hat.
    Es hängen viele Erinnerungen an diesem Tisch. Darleen, wie sie ihre in Pantoffeln steckenden Füße darauf legte, wenn sie sich gemeinsam einen Film ansahen. Darleen, die sich köstlich darüber amüsieren konnte, wenn sie ihn wieder einmal im Scrabble schlug. Und Darleen zusammen mit David, wie sie sich darauf liebten und in ihrer Ekstase eine Vase zu Boden warfen. Später war David dann mit bloßen Füßen in eine der Scherben getreten. Trotz der Schmerzen hatte er angefangen zu lachen und erst damit aufgehört, nachdem Darleen ebenfalls in sein Lachen einstimmte.
    Es gibt keine peinlichen Erinnerungen mehr. Nur noch Bilder, die an eine bessere Zeit erinnern – einfach nur Erinnerungen.
    Sam hat eine weitere Limonade vor sich stehen, David ein Glas Wasser. Er will keinen Wein in Sams Gegenwart trinken, denn er weiß, wie schnell der Alkohol ihm zu Kopf steigt; etwas, das er an diesem Abend nicht gebrauchen kann.
    Im Hintergrund läuft leise Neil Young. David wollte erst etwas anderes auflegen, etwas, das nicht so schwermütig und sentimental ist, doch dann hat er einfach auf den Knopf gedrückt und Neil das Wort erteilt. Sam scheint es zu gefallen, denn sie starrt auf die kleine Musikanlage und klopft den melancholischen Rhythmus mit der Hand auf ihrem Bein mit.
    »Es ist schön, wenn man Musik hören kann«, sagt sie nach einer Weile und blickt zu David, der ihr auf einem Sessel gegenüber sitzt.
    »Die Anlage läuft mit Batterien«, antwortet er und spielt mit dem Glas in seinen Händen, damit sie beschäftigt sind. »Das ist der Vorteil, wenn man eine eigene Stadt mit Geschäften besitzt.«
    Er lacht, doch Sam erwidert es nicht. Stattdessen starrt sie wieder zum Radio und bewegt lautlos ihren Mund zu dem Song. David sieht ihr eine Weile dabei zu und ertappt sich, wie seine Augen förmlich auf ihren Lippen kleben. Es sind spröde Lippen, ohne jeglichen Glanz, dennoch die Lippen einer Frau.
    »Du magst Neil Young?«
    Sam zuckt zusammen, als hätte sie jemand unsanft geweckt. »Ich mag alles aus den Siebzigern. Young ist nicht mein Lieblingssänger, aber ich kenne seine Songs.«
    David nickt und leert sein Glas. Vielleicht könnte er sich doch einen Schluck Wein gönnen.
    »Mit dreizehn war ich einmal auf einem seiner Konzerte«, fährt Sam nach einer Weile mit leiser Stimme fort. »Meine Tante hatte mich damals mitgenommen. Sie liebte Neil Young über alles. Sie trug so ein albernes T-Shirt mit seinem Gesicht drauf. Auf dem Rücken standen die Tourdaten.«
    Sam verdreht die Augen. David denkt an Darleen, die ein Hemd mit Norah Jones auf der Brust besaß.
    »Das Konzert war in New York. Es war das erste Mal, dass ich in einer so großen Stadt war. Die Häuser und die Menschen dort hatten mir ziemliche Angst eingejagt. Irgendwie waren die Menschen anders als in unserer Stadt. Sie schienen größer zu sein, schöner und sehr viel unfreundlicher.« David lächelt und Sam zuckt entschuldigend mit den Schultern. »Ich war dreizehn. Da kommt einem alles größer und besser vor, wenn man zum ersten Mal das heimische Nest verlässt. Aber eins sag ich dir …« Sie greift zur Flasche und nimmt einen großen Schluck Limonade. Ihre Lippen glänzen feucht, als sie weiterspricht: »… auch wenn ich erst dreizehn war, gefiel mir die Musik von Neil Young. Meine Freundinnen hatten Poster von O´Sullivan und Leif Garret an der Wand hängen und kannten ihre Lieder auswendig. Damals war man etwas Besonderes, wenn man die Texte auswendig kannte. Mir aber gefiel Neil Young.« Sie lacht, fährt sich durchs Haar
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