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Die Saat der Bestie (German Edition)

Die Saat der Bestie (German Edition)

Titel: Die Saat der Bestie (German Edition)
Autoren: Michael Dissieux
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noch während sie spricht. Sie wissen beide, dass New York, die große Metropole im Osten, The Big Apple , genauso still geworden ist wie jeder andere Ort auf der Welt. Keiner von ihnen will näher darüber nachdenken.
    »Denkst du, ich kann heute Nacht hier bleiben?«
    David hat diese Frage den ganzen Abend erwartet, und er hat sich davor gefürchtet. Sie jetzt ausgesprochen zu hören, in der Stille des Hauses, scheint ihm für Augenblicke die Luft zum Atmen zu nehmen. Er hat das Gefühl, fremde Schatten stürzen sich plötzlich aus jeder Ecke und jeder Nische auf ihn und bedrängen ihn, begierig darauf, seine Antwort zu hören.
    Er nickt, obwohl er gerne etwas anderes getan hätte.
    »Natürlich.«
    Seine Stimme klingt plötzlich brüchig. Er räuspert sich und sieht sich im Zimmer um. Dann fällt ihm das Gästezimmer im ersten Stock ein, in dem früher oft Darleens Schwester übernachtet hat, wenn sie für ein paar Tage aus Denver zu Besuch gekommen war.
    »Ich werde dir ein Bett herrichten.«
    »Ich will dir keine Umstände machen.«
    »Tust du nicht.« David schüttelt den Kopf und geht zur Tür. »Mach dir keine Gedanken. Ich bin froh, dass du da bist.« Das ist er nicht, doch einer Frau sagt man so etwas nicht. »Ich bin gleich zurück.«
    Er steigt die Treppe in den ersten Stock hinauf und fragt sich, wo Darleen das Bettzeug für das Gästezimmer aufbewahrte. David hat das Zimmer seit einiger Zeit nicht mehr betreten.
    Während er die Tür öffnet und ihm abgestandene, warme Luft entgegenschlägt, kann er hören, dass Sam die CD wieder startet. Im nächsten Moment erfüllen Youngs vertraute Klänge erneut das Haus und die Anspannung lässt David gerade so weit wieder los, dass die Welt aufhört, sich unkontrolliert zur Seite zu neigen.
    Er schließt die Tür hinter sich, öffnet das Fenster, um frische Luft hereinzulassen, und beginnt die Schränke nach Laken und Wolldecken abzusuchen. Dabei blickt er in einen antiken Schminkspiegel, den er vor Jahren einmal über einer Kommode aufgehängt hatte, und vor dem Darleens Schwester ganze Stunden verbringen konnte. Er kann sich noch gut daran erinnern, wie er zusammen mit Darleen diesen Spiegel an einem heißen Sommertag auf einem Flohmarkt entdeckt hatte.
    Was er jetzt darin sieht, gefällt ihm nicht. Der Spiegel ist trübe und wie durch einen Schleier starrt ihm ein alter, bleicher Mann entgegen. Der Mann wirkt müde und unsicher, wie eine Marionette auf einem verstaubten, finsteren Speicher. Er steht vornüber gebeugt, die Hände kraftlos an den Seiten eines ausgezehrten Körpers hängend. Doch was David am meisten erschreckt, sind die Augen seines Gegenübers. Die Augen passen nicht zu der erbärmlichen Erscheinung von David Morris.
    Er hat das Gefühl, in fremde Augen zu schauen. Augen, in denen er etwas erkennt, das nicht zu ihm gehört. Etwas, das ihm nicht gefällt.
    Schweigend richtet er das Zimmer her, wobei er es vermeidet, dem Fremden im Spiegel weiterhin zufällig in die Augen zu sehen.

    ***

    Sie ist die Stille gewohnt. Überall, wo sie in den letzten Wochen geschlafen hat, war es still gewesen. Ganz gleich, ob es eine kleine Wohnung in einem verlassenen Dorf war, das Wrack eines Lastwagens am Straßenrand oder die Straße selbst, die zwar ein hartes, jedoch grenzenloses Bett schenkte. Überall waren die Nächte lautlos gewesen. Es erschien Sam immer, als ob die Welt im Dunkeln den Atem anhält. Hier, in Davids Haus, ist es nicht anders.
    Das Gefühl, zum ersten Mal seit über einem halben Jahr nicht alleine in einem Haus zu sein, ist seltsam. Sie liegt in dem großen Bett, das eigentlich für zwei Leute gedacht ist, starrt ins Dunkel und lauscht dem Schweigen. In Gedanken stellt sie sich David vor, der sich ein Stockwerk tiefer befindet, sich bewegt und atmet, sich von einer Seite auf die andere wälzt und dabei leise vor sich hin murmelt, so wie sie es selbst früher immer getan hat; der, kurzum, ein lebendiges Wesen ist. Sie versucht, ihn durch die Wände atmen zu hören. Das ultimative Geräusch des Lebens, das sie auf ihrer langen Reise nur ein einziges Mal gehört hatte.
    Aber so sehr sie sich auch anstrengt, so sehr sie sich wünscht, den gleichmäßigen Atem einer schlafenden Person in der Nacht zu hören – alles, was sie umgibt ist Stille. An diesem Ort lastet das Schweigen besonders schwer.
    Sie dreht sich zur Seite und tastet nach dem Feuerzeug, das ihr David zusammen mit einer Kerze auf den Nachttisch gelegt hat. Im nächsten Moment
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