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Die Saat der Bestie (German Edition)

Die Saat der Bestie (German Edition)

Titel: Die Saat der Bestie (German Edition)
Autoren: Michael Dissieux
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und schüttelt den Kopf. »Ich habe nie jemandem von meinem neuen Musikgeschmack erzählt. Ich glaube, ich wäre das einsamste Mädchen auf der Welt gewesen.« Sam blickt wieder zur Anlage. Ihr Gesicht nimmt einen verträumten Ausdruck an. »Es ist schön, sich zu erinnern. Und es tut so verdammt weh.«
    Eine Zeit lang schweigen beide und hören zu, wie Young vom ›Travelling Man‹ erzählt. Als Sams Flasche leer ist, steht David auf, holt eine neue aus der Küche und stellt sie vor ihr auf den Tisch. Sie sieht zu ihm hoch und lächelt, dann blickt sie wieder zur Musikanlage.
    David setzt sich in den Sessel, faltet die Hände in seinem Schoß und betrachtet aus den Augenwinkeln die Frau, die ihre Lippen erneut zur Musik bewegt, als würde sie sich wieder in der ersten Reihe von Youngs Konzert befinden und leise seine Texte mitflüstern. Er stellt sich plötzlich vor, wie es wäre, wenn Sam für ihn tanzen würde. Langsam, lasziv und verführerisch zur Musik von Neil Young.
    Der Gedanke gefällt ihm und stößt ihn gleichzeitig ab. Wie kann er so etwas nur denken? Ist es wirklich wahr, dass die Einsamkeit einen Mann zu einem gefährlichen Irren machen kann? Dass da irgendetwas im Kopf passiert, das man nicht mehr steuern kann, und ehe man sich versieht, entwickelt man sich zu einem Primaten zurück?
    Trotz dieser Überlegungen kann David eine innere Erregung nicht leugnen, die sich auch auf seine Hose auswirkt. Er verändert seine Position im Sessel und schlägt die Beine übereinander. »Du scheinst aus der Nähe von New York zu kommen«, sagt er, um sich selbst auf andere Gedanken zu bringen.
    »Aus Waterbury«, antwortet sie. »Das liegt nur etwa zwei Stunden Autofahrt nordöstlich von New York. Ist eine kleine Stadt, aber mir gefällt es dort.« Sie hält inne und sieht David ernst an. »Ich meine, es gefiel mir.«
    »Du hast immer noch dort gelebt?«
    »Seit ich ein Kind war. Ich habe nichts anderes gekannt. Und ich sage dir ganz ehrlich, all die Träume, die man als junges Mädchen vom Leben in der großen Stadt hat, waren ab jenem Abend in New York ausgeträumt. Ich sagte ja bereits, die Menschen in New York sahen zwar anders aus als in Waterbury, sie waren eleganter gekleidet und hatten würdevolle Gesichter, aber ich kam damals trotz meiner dreizehn Jahre schnell dahinter, dass ihre gesamte Erscheinung nichts weiter als eine Maske war, die sich jeder selbst nach seinen eigenen Wünschen modellieren konnte.« Sie trinkt und schüttelt den Kopf. »Nein, meine Träume endeten mit Neil Young. An dem Abend mit meiner Tante hatte sich so einiges für mich verändert. Ich stand plötzlich auf eine andere Art von Musik und liebte unser kleines Städtchen mehr als je zuvor. Und das hat sich auch nicht mehr geändert, bis …«
    Sie verstummt, starrt auf ihre Finger und setzt ein Lächeln auf, das nicht echt wirkt. Vielleicht gibt es auch in Waterbury Masken, so wie in jeder Stadt, egal wie groß oder klein sie ist.
    »Ich glaube, jeder liebt das, was er kennt, und fürchtet sich vor dem Fremden.«
    David möchte darauf etwas erwidern, doch Sam steht auf, geht zur Musikanlage und betrachtet das Cover der CD. Dann dreht sie sich wieder zu David um. »Man sah schon ziemlich bescheuert aus damals, oder?«
    David steht ebenfalls auf, bleibt aber vor dem Sessel stehen.
    »Ich hatte lange Haare«, sagt er und schüttelt theatralisch seinen Kopf.
    Sam lacht und legt die CD-Hülle zurück. »Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Du wirkst eher wie jemand, der in einer Bank arbeitet.« Sie nickt in Richtung der Urkunde an der Wand. »Oder jemand, der angelt.«
    Ohne Davids Reaktion abzuwarten, wendet sie sich dem CD-Regal zu und neigt den Kopf zur Seite, um die verschiedenen Titel lesen zu können.
    Währenddessen verklingt der letzte Song von Neil Young und es wird still im Zimmer. Das plötzliche Schweigen der Nacht scheint Sam zu überraschen, denn sie wirft David einen unsicheren Blick zu.
    »Hier ist es genauso still wie in Waterbury«, sagt sie mit leiser Stimme, als befürchtet sie, die Ruhe zu zerstören.
    »Ich glaube, mittlerweile ist es egal, wo du auf der Welt bist«, antwortet David und blickt zum Fenster. »Es ist überall gleich still. Selbst in einer lauten Stadt wie New York ist es still geworden.«
    Sam nickt, dann schüttelt sie den Kopf und lächelt. »Das kann ich mir nicht vorstellen. New York ist wahrscheinlich die einzige Stadt auf der Welt, in der es immer noch Lärm gibt.«
    Sams Lächeln schwindet,
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