Die Saat der Bestie (German Edition)
Martyriums verloren zu haben glaubte. Hass ist keine Lösung, doch manchmal kann er eine göttliche Droge sein.
Irgendwann, wenn all dies vorbei ist und sie wieder zu ihrer eigenen, inneren Ruhe gefunden hat, wird sie zurückkommen und mit Gott reden. Und Gott wird auf sie warten, um über sie zu richten, dessen ist sie sich sicher.
Sam starrt auf eine graue Büste der Jungfrau Maria, die ihren Sohn in den Armen hält, und nickt leicht. Die Ruhe und die Kraft kommen von ihr, und mit ihrem Schutz wird Sam diese verdammte Stadt verlassen können.
Sie dreht sich um, geht in den Gemeindesaal zurück und schließt leise die Flügeltür hinter sich. Selbst das leise Klicken des Schlosses hallt wie ein Gewehrschuss durch das Schweigen der Kirche. Sams Blick fällt auf die kleine Holztür in der gegenüberliegenden Wand.
Zeit zu verschwinden , denkt sie, geht zur Tür und öffnet sie mit einem energischen Ruck. Sie wusste, dass die Tür unverschlossen ist. Maria hat es ihr gesagt.
Außerdem hat Sam nun kapiert, wie Bills Verstand funktioniert. Er ist sich seiner Beute sicher. Wer sollte ihn auch in dieser verlassenen Stadt an seinen orgiastischen Handlungen hindern? Warum sollte er Türen versperren, wo es doch nur ihn und die Frau, das Hurenfleisch, gibt?
Als sie ins Freie tritt, empfängt sie die bleigraue Dämmerung eines sterbenden Tages. Der Himmel hängt als blasse Kuppel über der Stadt und die Häuser beginnen, sich in die Schatten der einsetzenden Nacht zurückzuziehen.
Sam steigt die Stufen einer Holzveranda hinunter und bleibt auf einem mit weißem Kies ausgelegten Weg stehen. Als sie sich umdreht, ragt die Kirche wie ein lauernder Schatten über ihr auf. Die Spitze des Glockenturms scheint sich von ihrer Position aus in das milchige Tuch des Himmels bohren zu wollen. Die hohen Fenster des Gebäudes starren auf sie nieder. Sie glaubt, einen stillen Vorwurf in den blinden Blicken der Fenster deuten zu können. Ein Vorwurf, dass sie es wagt, Bills unheilige Zeremonie zur Ehre eines toten Gottes zerstört zu haben? Sam dreht sich um und lässt ihren Blick durch den Garten der Pfarrei wandern. Rosenbüsche schmiegen sich um einen grauen Lattenzaun, an den Ecken des Grundstückes ragen jeweils mächtige, uralte Eichen in den Himmel, deren Wipfel sich leicht im Wind neigen und miteinander zu flüstern scheinen.
Beim Anblick der alten, knorrigen Stämme wird Sam an die biblischen Säulen erinnert, die den Himmel von der Hölle trennen. Der Raum dazwischen, in diesem Fall der Garten, war der kleinen Rasse der Menschen zugedacht.
Sie bezweifelt, dass der verantwortliche Pfarrer der Kirche etwas Derartiges im Sinn hatte, wenn er auf den Stufen der Veranda stand und seinen Garten betrachtete. Der Mann hatte aber offensichtlich auch das Ende der Welt nicht überlebt, um sich solchen Gedanken hingeben zu können.
Sam geht zum Gartentor und tritt auf eine schmale Straße hinaus, die in einem großzügigen Bogen um die Kirche herum zur Hauptstraße führt. Der Gedanke, dass Bill eben diesen Weg genommen hat, wenn es ihn danach gelüstete, sein Hurenfleisch zu benutzen, lässt sie schaudern.
Wie oft ist er wohl hier entlang gegangen, auf der schmalen Straße, hat das Tor geöffnet und ist, einem perversen Sünder gleich, zwischen den Säulen der Erde entlang spaziert? Wie lange war sie seine Gefangene?
Sie beginnt zu laufen. Der Asphalt hat die Wärme des Tages gespeichert. Sam hat das Gefühl, mit ihren bloßen Füßen über einen warmen Teppich zu laufen. Als sie die breite Hauptstraße der Stadt erreicht, bleibt sie stehen und zieht sich in den Schatten des Kirchturms zurück. Mit dem Rücken gegen die Wand gepresst, beobachtet sie die leere Straße.
Einige Autowracks stehen wie weggeworfenes Spielzeug am Straßenrand. Regen und Sonne haben damit begonnen, die Farben der Karosserien mit einer grauen, schmierigen Schicht und die Scheiben mit grünem Moos zu überziehen. Vor einem kleinen Gemischtwarenladen steht ein Kinderwagen, auf dem Boden liegt die verwaiste Leine eines Hundes. Was mag wohl mit dem Tier geschehen sein , geht es Sam durch den Kopf.
Aus einem zerborstenen Fenster im ersten Stock des Hauses hängt eine graue, zerrissene Gardine heraus, gerade so, als würde das Haus in Todesqualen seine ledrige, dunkle Zunge herausstrecken. Die Schaufensterscheiben der übrigen Geschäfte sind dunkel und reflektieren den abendlichen Himmel als groteskes, düsteres Schauspiel. Papier und Einkaufstüten liegen auf
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