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Die Saat der Bestie (German Edition)

Die Saat der Bestie (German Edition)

Titel: Die Saat der Bestie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Dissieux
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der Straße, als wäre erst vor kurzem eine Parade vorbei gekommen. Die Stille, die über die Dächer kriecht und aus den dunklen Gassen sickert, erscheint Sam wie ein lebendiges Wesen. In Anbetracht des ewigen Schweigens der Stadt, wagt sie kaum zu atmen. Ihre Augen spähen in jeden Hauseingang, durch die Vorgärten der Häuser und streichen über die blinden Fensterfronten, auf der Suche nach einer verdächtigen Bewegung. Doch die Stadt ist verlassen und gleicht einem apokalyptischen Kunstwerk, einem letzten Mahnmal der Menschheit.
    Vorsichtig tritt Sam aus den Schatten der Kirche und spürt augenblicklich die drückende Wärme des Tages, die noch immer wie ein Film über dem Asphalt liegt.
    Sie blickt die Straße rauf und runter und versucht, sich an etwas zu erinnern, das David ihr gezeigt hat. Doch die Gegend ist ihr fremd. Ihr wäre die kleine Kirche mit Sicherheit zuvor schon aufgefallen, als sie mit David zusammen zum Anlegesteg gegangen war.
    Unsicher beschließt sie, in die Richtung zu laufen, die sie, ihrem Empfinden nach, ins Stadtzentrum führt. Ich brauche eine Waffe , denkt sie. Noch bevor sie den Gedanken in Worte fassen kann, erblickt sie das Schild einer Eisenwarenhandlung. Das Haus ist alt und duckt sich zwischen zwei modernen Bürogebäuden, mit einem Dach, das sich in der Mitte durchbiegt. Es ist einer der typischen Dinosaurier, die sich in der alten Welt erfolgreich und hartnäckig gegen die Moderne zur Wehr gesetzt haben. Nichts sieht Sam im Moment lieber als das kleine, windschiefe Gebäude, das wahrscheinlich eines der ersten Häuser der Stadt gewesen ist.
    Sie blickt sich noch einmal um und läuft dann geduckt über die Straße auf den Eingang des Ladens zu.
    Sie fühlt sich, trotz des Rausches ihrer Freiheit, so schutzlos und nackt, als würde sie noch immer in ihren Fesseln am Balken im Kerker hängen. Doch als sie die Eingangstür der Eisenwarenhandlung erreicht und mit dem Ellbogen die Scheibe in Höhe des Türknaufs einschlägt, strömt eine verloren geglaubte Stärke durch ihren geschundenen Körper. Sie fühlt sich wie ein Kind zur Weihnachtszeit, als sie den Laden betritt. Ihre Schritte wirbeln Staub auf, der in den schmalen Lichtstreifen, die durch das verschmutze Schaufenster in den Laden fallen, einen kläglichen Tanz vollführt. Der warme Geruch von altem Holz, Stoffen, Farben und Kunststoff liegt in der Luft. Die Regale wirken wie verzerrte Schatten, von den unzähligen Werkzeugen und Eisenwaren ihrer ursprünglichen Form beraubt. Schilder, die an dünnen Ketten von der Decke hängen, zeigen Sam den Weg zu jenen Dingen, die von Interesse für sie sind. Sie greift sich einen ledernen Werkzeuggürtel, den sie sich wie ein Holster um die Hüfte schlingt, und beginnt, die Taschen und Schlaufen mit Schraubendrehern und Meißeln zu bestücken. In die größten Schlingen steckt sie einen Latthammer, wie ihn Dachdecker benutzen, sowie einen soliden Fäustel, der sich perfekt in ihre Hand schmiegt und ihr für Sekunden einen wahren Rausch an Macht vermittelt.
    Beim Laufen schlagen die Holzstiele der beiden Hämmer gegen ihre Schenkel. Doch jede einzelne Berührung lässt ihre Verwundbarkeit etwas mehr schrumpfen und gibt ihr jene Sicherheit zurück, die ihr, als sie in diese Stadt kam, ihre Waffe gab.
    Der Gedanke, dass sie, bekleidet mit Jeans und einer zerrissenen Bluse, dazu den Werkzeuggürtel wie ein Waffenholster um die Hüfte geschlungen, eine ziemlich komische Figur abgeben würde, bringt sie zum ersten Mal seit Tagen wieder zum Lächeln. Nicht das irre Kichern primitiver Freude, wie es sie während ihrer Flucht überkommen hat, sondern ein ehrliches, befreiendes Grinsen, das sie endlich wieder als Frau und Mensch fühlen lässt.
    Sam spielt mit dem Gedanken, sich einen stabilen Vorschlaghammer als Hauptwaffe zuzulegen. Doch als sie versucht, das Werkzeug vom Regalboden zu heben, verwirft sie den Plan schnell wieder und gibt sich mit ihrem handlichen Arsenal zufrieden.
    Auf dem Weg zurück zur Eingangstür erblickt sie eine elektrische Nagelpistole. Sie nimmt das Gerät in die Hand, betrachtet es von allen Seiten und nickt anerkennend, während sie sich wünscht, dass irgendjemand einmal die Idee gehabt hätte, diese Pistole mit einem Akku oder einer Batterie auszustatten. Dennoch verleiht ihr das bloße Gewicht des Gerätes in ihren Händen ein Gefühl der Unbesiegbarkeit.
    Als sie wieder auf die Straße hinaustritt, ist der Himmel grauer als zuvor, während der Horizont zu

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