Die Saat der Erde Roman
man ihnen die Kursdaten für eine »Teilstrecken-Flugfortsetzung« oder einen »Gebietsaustritts-Mikrosprung« übermittelt hatte. Beides war unerlässlich, denn das riesige Sensornetz - und damit auch die unstete Flugbahn der Station - waren auf den Randbereich der Omet-Tiefenzone beschränkt, wo Staubwolken und die darin verborgenen Objekte jeden Versuch vereitelten, Hyperraum-Berechnungen anzustellen. Reisende mussten sich auf die Kursdaten von Bryag verlassen oder diese Gegend von vorneherein meiden.
Während sie warteten, betrachtete Kao Chih durch die Sichtluke die nebelhafte Dunkelheit der Tiefenzone. Hier und da durchdrang das Licht von Sternenclustern und nahen Einzelsternen die trüb orangefarben und purpurrot leuchtenden Staubschleier, die verzerrten, bernsteinfarbenen Wirbel, die violetten Kräuselungen. Die Omet-Tiefenzone, hatte Drazuma-Ha* ihm in Erinnerung gerufen, war der Ursprung des großen Achorga-Schwarms, der vor hundertfünfzig Jahren Hunderte Sternsysteme im näheren Umkreis heimgesucht und ganze Planeten verwüstet hatte, darunter auch die Heimatwelt der Menschheit, die Erde. Dieser spezielle Achorga-Ausbruch war nicht der erste gewesen, und seitdem hatte es weitere gegeben, viele
davon auf Indroma-Gebiet, wo es zu Chaos und Zerstörungen in großem Ausmaß gekommen war.
Irgendwo dort draußen, dachte er, im finsteren Zentrum des Staubs und der Gesteinsbrocken, liegt die Heimatwelt des Schwarms, der Achorga. Ohne sie hätte es keinen Schwarmkrieg gegeben, und es wäre nicht zum verzweifelten, ziellosen Start der drei Kolonieschiffe gekommen. Die Tenebrosa wäre niemals blindlings durch den Hyperraum gesprungen und hätte folglich auch nicht die wundervolle Welt erreicht, welche die ersten Siedler »Tugend im Tal« getauft hatten, und sie hätten auch nicht miterleben müssen, wie ihre Welt von Angreifern verwüstet wurde, worauf für die Überlebenden eine lange Zeit der Knechtschaft anbrach …
»Scan abgeschlossen. Erlaubnis erteilt.«
Kao Chih setzte sich auf, blickte aufs Display und grinste, während die Markierungsboje fortfuhr.
»Bitte nennen Sie den gewünschten Kurs - Stationszugang oder Gebietsaustritt?«
»Stationszugang«, sagte Drazuma-Ha* rasch und machte sich mit einem Mikrofeld-Extensor an der Konsole zu schaffen. »Polydigitaler Kanal ist offen.«
»Daten-Schnellübermittlung … Übermittlung abgeschlossen. Sie dürfen weiterfliegen.«
»Wird erledigt«, sagte der Mecha, der die neuen Kursdaten bereits an die Navigationssteuerung übermittelte. Kao Chih blieb gerade noch Zeit, sich anzuschnallen, da kohärierten auch schon die Kraftwellen des Hyperantriebs und versetzten - warfen -, schleuderten sie in die erste Schicht des Hyperraums.
Ein weiterer halbstündiger Mikrosprung. Kao Chih nutzte die Zeit und ging noch einmal die Notizen in Tumakris Dokumenter durch, um sich ein Bild von ihrem Kontaktmann
auf Bryag zu machen - ein Piraseri-Händler im Vakanzug namens Milmil S’Dohk - und Anhaltspunkte zu finden, die es ihm erlauben würden, dessen mobile, auf Suspensoren gelagerte Niederlassung zu erkennen. Anschließend spielte er zwanzig Minuten lang eine Halbbrettpartie Schach gegen das Spiel-Subsystem des Schiffes, dann ertönte das Signal, das zum Anschnallen aufforderte. Im nächsten Moment wurde die Kastellan ein paar Kilometer von ihrem Ziel entfernt aus dem Hyperraum entlassen - geworfen - geschleudert. Drazuma-Ha* fuhr die Manövriertriebwerke hoch, und kurz darauf begann der leitstrahlgesteuerte Anflug.
Vor dem Hintergrund der düster leuchtenden bunten Staubwirbel der Omet-Tiefenzone bot die Bryag-Station einen prachtvollen Anblick. In einer endlosen Wanderschaft begriffen, erinnerte sie Kao Chih an eine kolossale, weit geöffnete zweischalige Muschel, deren Angelpunkt unmittelbar vor ihnen lag. Beide Hälften strotzten von Anbauten, Türmen, Kuppeln, Kugelclustern, Holmen, Kabeln sowie Hunderten hin und her flitzender Bots, Hüpfer und Gestalten im Jetanzug. Die von den zahlreichen Staubpartikeln und Kleinstmeteoriten zernarbte Außenfläche der beiden Stationshälften war dunkelgrau, gegliedert von schutzschirmgeschützten Leitungen, Wartungsgerüsten und gepanzerten Antriebsöffnungen.
Paare von Dockauslegern unterschiedlicher Größe säumten den Rand beider Hälften, zum Heck der Station hin nahmen die Aufnahmekapazitäten zu. Der Autopilot der Kastellan folgte dem Leitstrahl mit großer Anmut zu einem Auslegerdock am Hauptrand. Greifernetze
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