Die Saat der Finsternis (German Edition)
Schweigen.
„Es ist nicht deine Schuld!“, wiederholte er mit Nachdruck und zog Kirian mit sich zurück auf den Boden, in die gleiche vertrauensvoll aneinandergelehnte Position wie zuvor.
„Wie schlimm war es?“, fragte Kirian heiser und fuhr suchend mit dem Zeigefinger über Lys’ linken Unterarm, bis er das Brandmal fand.
„Ich kann nicht …“, murmelte Lys. Wie erschlagen sank er zurück, drehte sich mühsam und klammerte sich Halt suchend an Kirian fest. Bei der bloßen Vorstellung, auch nur ein einziges Wort über die Zeit mit Kumien zu sprechen, fühlte er sich wie ausgepeitscht.
„Schon gut“, sagte Kirian. „Ich werde dich nicht – egal was … ich … du kannst mir vertrauen.“
„Genau dafür liebe ich dich“, flüsterte Lys, und ließ sich halten, bis er aufhören konnte zu weinen.
*
Es war vorbei.
Als sie das letzte Mal aufgestanden waren, hatten sie beide gewusst, es würde wahrhaftig das letzte Mal sein. Aus eigener Kraft war Lys nicht mehr auf die Beine gekommen. Es war vorbei.
Kirian hatte weiter gearbeitet, bis er ebenfalls keine Kraft mehr besaß und sich zu ihm gelegt. Lys kuschelte sich an ihn, er war zufrieden. Erschöpft, wie er war, spürte er nichts, keine Schmerzen mehr, keine Angst. Es war gut in Kirians Armen zu sterben. Zu wissen, dass sie immer noch zusammengehörten, auch wenn sein Liebster sich nicht an ihn erinnern konnte, auch, wenn er ihm nichts von dem gesagt hatte, was so dringend hätte erzählt werden müssen. Ihm war klar, dass es noch einige qualvolle Stunden dauern würde, dass die Schmerzen wiederkehren würden, doch darum sorgte er sich jetzt nicht.
„Lys? Lys, bist du wach?“
„Ja.“ Wie müde und heiser Kirian klang!
„Ich höre sie wieder.“
Lys nickte gegen Kirians Schulter. Er hörte das Schürfen von der anderen Seite auch. Manchmal schien es so nah zu sein, als würde nur eine Handbreit zwischen ihnen und der Rettung liegen. Doch ihre Rufe blieben oft unbeantwortet und immer wieder verschwand dieses leise Geräusch, bis sie kaum noch wussten, ob es Wirklichkeit oder Einbildung war.
„Vielleicht schaffen sie’s“, nuschelte Lys. Es kümmerte ihn nicht. Ob Arkin und die anderen sie nun retteten oder nicht, es war ihm völlig egal. Obwohl – möglicherweise würde Kirian durchkommen. Er wünschte so sehr, dass Arkin wenigstens ihn retten würde.
„Wenn sie’s nich’ schaffen …“, murmelte Kirian, „du … ich – Lys?“
„Hm?“
„Ich würde dich gerne küssen.“
Es dauerte eine Weile, bis Lys die Bedeutung dieser Worte verstand. „Sicher?“, flüsterte er verwirrt. Dann riss er sich zusammen. Ein Abschiedskuss vor dem Ende, das klang gut. Lys robbte mühsam höher, bis er Wärme an seiner Wange spürte.
„Ich liebe dich“, flüsterte er, und küsste die Tränen fort, die über Kirians Gesicht rannen.
„Und ich liebe dich“, hörte er die Antwort, die er erhofft hatte. Ihre Lippen fanden sich zu einem kurzen, zärtlichen Kuss. Dann überließen sie sich beide der Erschöpfung, und es konnte sie nicht weniger kümmern, ob sie noch einmal erwachen würden oder nicht.
6.
„Ich glaube, wir sind fast durch“, sagte Arkin. Er arbeitete Seite an Seite mit Orchym und seinem Sohn, einige andere halfen ihnen, den Abraum aus dem Gang zu tragen, den sie in den vergangenen vier Tagen freigelegt hatten. Eigentlich durften sie das nicht. Es war strikte Regel, dass nach Verschütteten nur drei Tage lang gesucht werden durfte, und das nur, wenn es gefahrlos möglich war. Arkin hatte Pocil das Zugeständnis abringen können, dass niemand Fragen stellen würde, sollte man die beiden Vermissten am heutigen Tag finden. Vorausgesetzt, die anderen Sklaven würden besonders viel Erz abschürfen. Über sieben Schritt tief waren sie mittlerweile in den eingestürzten Gang eingedrungen. Doch sowohl Tiko als auch er hatten die fernen Rufe und Geräusche von der anderen Seite vernommen. Arkin hoffte inständig, dass wenigstens einer der beiden Männer überlebt hatte – vorzugsweise Lamár, aber auch für Erek betete er.
Tiko arbeitete verbissen weiter. Schon seit einigen Stunden hatten sie beide nichts mehr von der anderen Seite gehört. Es bedeutete hoffentlich bloß, dass die beiden Männer ruhten …
„Vater?“ Arkin kniete rasch neben ihm nieder, und nickte ihm triumphierend zu: Sie waren durchgebrochen, vor ihnen lag ein schmaler Durchlass. Mit vereinten Kräften vergrößerten sie die Öffnung, riefen beide
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