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Die Saat der Finsternis (German Edition)

Die Saat der Finsternis (German Edition)

Titel: Die Saat der Finsternis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
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beschämter Verlegenheit, dann huschte ein melancholischer Ausdruck über ihr Gesicht.
    „Ich habe nie aufgehört, es zu bedauern. Gehadert habe ich deswegen nicht, weder mit Euch noch mit der Entscheidung der Götter.“
    Kirian vergewisserte sich mit einem raschen Blick, dass Lys bereits fort und alle anderen Priester außer Hörweite waren. Bevor er zu lange darüber nachdenken konnte, ob es klug war, was er tat, sagte er rasch:
    „Habt Ihr einen Rat für mich, Herrin, auf den ich diesmal hören könnte?“
    Nayamé dachte einen langen Moment nach, dann seufzte sie leise.
    „Nein, raten kann ich Euch nichts. Nur an das erinnern, was Ihr damals zu mir sagtet, als ich Euch warnen wollte: Mein Vater muss einsehen, dass ich nun einmal so bin. Wenn er mich deswegen verachtet oder hassen will, ist das seine Entscheidung. Ich weiß, dass er mich trotzdem auch lieben wird, denn ich bin sein Sohn. Ich liebe ihn, weil er mein Vater ist und ich gar keine andere Wahl habe. Vielleicht bin ich in seinen Augen wertlos, wie er immer sagt. Ich weiß, was ich wert bin und das kann er mir nicht nehmen!
    Stefár, Ihr ward sechzehn, als Ihr diese trotzigen Worte spracht, mit all der Wut und der Weisheit eines Jungen, der erkannt hat, welcher Mann er sein will. Ihr seid nun zweiundvierzig und wisst nicht mehr, welcher Mann Ihr seid. Findet die Weisheit in Euch wieder, die unerschütterliche Gewissheit von damals.“
    Kirian spürte, dass der Trank, dem man ihm für das Ritual gegeben hatte, langsam seine Wirkung verlor. Er war am Ende seiner Kräfte; und so sehr er sich wünschte, etwas auf Nayamés Worte zu erwidern, die durch sein Bewusstsein hallten, er konnte es nicht.
    „Lark, Naro, helft ihm“, hörte er jemanden sagen, als die Welt sich plötzlich zu einem schmalen Tunnel verengte.
    Es schienen endlose Meilen bis zum Schlafraum zu sein. Kirian wurde am Ende mehr getragen, als dass er selbst lief, und war heilfroh, in sein Bett fallen zu dürfen. Die Erschöpfung begrüßte er allerdings. Sie zog ihn rasch hinab in Schlaf und Vergessen und ersparte ihm, sich mit Lys auseinandersetzen zu müssen. An seiner Liebe zu ihm hatte sich nichts geändert. Seine Zweifel, ob er es wert gewesen war, dass so viel geopfert und riskiert werden musste, hatten sich hingegen verhundertfacht.

15.
     
    „Wir sehen uns bald.“ Lys kniete am Boden und hielt Marjis im Arm. Diesen Satz wiederholte er bereits seit zwei Tagen unentwegt, gemeinsam mit allen möglichen anderen Beteuerungen, dass er sie nicht zurücklassen würde, sondern nur vorausgehen musste. Die Priester hatten sich bereit erklärt, das Mädchen noch ein, zwei Tage im Tempel zu behalten, um sie weiter aufzupäppeln. Eine knappe Woche Rast und Ruhe war kaum genug gewesen, um ihn und Kirian wieder zu Kräften zu bringen, doch länger hatten sie es beide nicht ausgehalten. Marjis hingegen war beinahe ihr gesamtes kurzes Leben über schlecht ernährt worden und hätte mehrere Monate Pflege dringend nötig gehabt.
    „Ich würde sie gänzlich hier behalten, statt sie in ein Räuberlager bringen zu lassen“, hatte Nayamé missbilligend zu verstehen gegeben. „Aber ich fürchte, wenn sie Euch als Vaterersatz verliert, wird ihre kleine Seele gar nicht mehr zu retten sein.“
    Lys und Kirian wollten zuerst nach Sorala reiten, um mit Graf Inur zu besprechen, wie die augenblickliche politische Zwangslage am Besten gelöst werden konnte. Erst danach würden sie zu Albor und Tomar weiterziehen. Marjis sollte derweil auf direktem Wege zum Lager gebracht werden, in Begleitung von Arva, Nayamés Tochter, und Lark. Sie wollten langsam reisen, in jedem Tempel anhalten und dem Kind so unnötige Anstrengung ersparen.
    Marjis weinte nicht, sie bettelte nicht darum, mitgehen zu dürfen, sondern ließ sich von Arva hochheben und wie eine Puppe halten, als Lys sie freigab. Gerade diese stille Duldsamkeit war beängstigend … Impulsiv streifte sich Lys die Kette mit dem Silberamulett über den Kopf und legte sie Marjis um. Kirian hatte es ihm zurückgegeben, er wollte diesem Schmuckstück nicht zu nahe kommen, auch, wenn es jetzt keinerlei Macht mehr besaß.
    „Das“, Lys tippte auf das Amulett, „hat mich mit Kirian verbunden, die ganze Zeit über, bis ich zu euch kam und ihn gefunden habe. Du passt für mich darauf auf, ja? Sobald wir uns wiedersehen, gibst du es mir zurück.“
    Marjis nickte und umklammerte die Kette mit ihrer winzigen Faust. Sie schwieg, wie meistens, wirkte nun aber nicht

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