Die Saat der Finsternis (German Edition)
zweiundzwanzig Tagen würde man ihn für tot erklären. Ohne ihn als Verbündeten musste sich Inur rasch einen neuen Beschützer suchen, sonst war er den Hyänen ausgeliefert, die sich auf Lys’ Erbe stürzen würden, und damit auch auf ihn. Sorala würde keinem Angriff standhalten, Inur besaß zwar große Ländereien und alle wichtigen Eisenminen von Onur, in seiner Burg befanden sich allerdings gerade genug Soldaten, um Räuber und plündernde Söldnertruppen ohne Dienstherren abzuwehren. Der Fluch seines niedrigen Adelsstandes! So sehr es ihm missfiel, er würde eine Allianz mit Layn Kumien eingehen müssen, und sich unter Lys’ Verbündeten denjenigen suchen, der wohl am besten geeignet war, seinen Besitz vor dem Zugriff des Königs zu schützen.
Inur seufzte und nickte dem Diener zu. „Was gibt es?“
„Herr, es sind Reisende angekommen, die mit Euch zu sprechen wünschen. Zwei Männer ohne Eskorte.“ Der Diener trat ein wenig vor und sagte in vertraulicherem Ton: „Sie sehen eher zwielichtig aus, wollten ihre Kapuzen nicht abnehmen und auch ihre Namen nicht nennen. Da sie ihre Waffen freiwillig abgegeben haben, ließen wir sie passieren und in der großen Halle warten. Die Wachen stehen bereit.“
„Danke“, murmelte Inur geistesabwesend und erhob sich. Zwei Männer? Da gab es nur wenige Möglichkeiten: Entweder, es war eine List, um sich hier einzuschleichen und eine Eroberung vorzubereiten – was sehr unwahrscheinlich war, solange Weidenburg, Lichterfels und Corlin noch offiziell als seine Verbündeten galten – oder aber …
Er hastete in die Halle hinab, blieb dann wie vom Donner gerührt stehen, als er die vertraute schlanke Silhouette von Lys erkannte und die langen schwarzen Haare des Mannes neben ihm, der gerade seine Kapuze vom Kopf zog. Sie drehten sich zu ihm um, genau in dem Moment, als Inurs Frau ebenfalls in die Halle kam, wohl, um den Grund für den Aufruhr zu erfahren.
„Norina, Ihr hattet unrecht“, verkündete Inur und schüttelte ungläubig den Kopf. „Die Götter lieben Fürst Lyskir von Corlin!“
*
Lys musste lachen, als der kleine, dickliche Graf auf ihn zustürmte und ihn erst umarmte, sich sofort verlegen entschuldigte, ihm danach noch einmal um den Hals fiel und dabei versuchte, ihn gleichzeitig mit Fragen und Erklärungen zu überhäufen. In ganz Onur gab es keinen zweiten Adligen, der ähnlich gefühlsgetrieben war wie dieser Mann. Viele glaubten, dass Inur, der sich stets hinter einem mächtigen Beschützer versteckte, gerade deswegen lächerlich und bedeutungslos war, eher ein Bauer als einer von Ihresgleichen. Lys hingegen schätzte die offene Herzlichkeit, die sich weder hinter Lügen noch Maskerade verbarg, über alle Maßen. Er konnte sicher sein, dass Inur sich tatsächlich freute, ihn lebendig wiederzusehen …
„Ihr wisst nicht, was für Vorwürfe ich mir gemacht habe, Euch da zurücklassen zu müssen, und jetzt sagt mir nur, wie Ihr es über den Pass geschafft habt? Kommt, Ihr seht schrecklich aus, und Ki…, ahm, Lamár ebenso! Norina, seid so gut und lasst Essen und ein Zimmer für die beiden richten, ich meine natürlich, eines für jeden von beiden. Aber erst müsst Ihr mir alles erzählen, und …“
„Langsam!“, rief Lys, musste sich allerdings geschlagen geben, als Inur ihn und Kirian aus der Halle hinaus und in einen kleinen Raum drängte.
„Hier können wir reden, ohne dass die Wachen Dinge hören, die sie nicht wissen dürfen.“ Inur tupfte sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn und begann, sie beide auszuquetschen, bis sie ihm in Kurzfassung alles erzählt hatten. Nur was zwischen ihm und Kirian geschehen war, behielt Lys für sich. Inur war so aufgeregt, dass er ihnen nicht einmal einen Stuhl zum Sitzen anbot, er selbst lief im Raum auf und ab wie ein gefangenes Tier.
„Aber nun, wir brauchen Euren Rat, Inur“, sagte Lys schließlich. „Wie ist die politische Lage, und welche Schritte soll ich jetzt am besten unternehmen?“
Inur legte die Fingerspitzen zusammen und dachte nach.
„Ich habe direkt nach meiner Rückkehr einen Brief mit unserer üblichen Verschlüsselung zur Weidenburg geschickt. Nach zwei Wochen erhielt ich Antwort, allerdings aus Urrat. Das Botensystem funktioniert wirklich beängstigend schnell!“
Kirian hatte in den vergangenen zwei Jahren dafür gesorgt, dass alle Adligen, die mit Lys verbündet waren, ständig Wechselpferde bereithielten, sodass ein Bote sehr schnell reisen konnte, ohne sein
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