Die Saat der Finsternis (German Edition)
Lys den Kopf vor ihr, hoffend, dass sie ihn weitergehen lassen würde, ohne ihn mit Spott oder Verachtung zu quälen. Dafür hatte er nun wirklich keine Kraft!
„Ihr könntet sagen, dass Ihr Euch freut, egal, wie ich aussehe“, erwiderte er genauso leise. Er spürte, dass sie beobachtet wurden; er und Elyne waren schon immer ein unerschöpflicher Quell für allgemeines Gerede gewesen. „Es macht mir nichts aus, wenn Ihr lügt“, fügte er ein wenig bitter hinzu, als sie schwieg.
„Ich brauche nicht zu lügen, ich freue mich tatsächlich Euch zu sehen. Und das nicht nur, weil Ihr mir meinen Bruder zurückgebracht habt.“ Sie schenkte ihm ein scheues, mädchenhaftes Lächeln, berührte ihn mit einer verlegenen Geste am Arm. Sie knickste formvollendet, dann wandte sie sich um und ließ ihn verwirrt stehen. Was bei allen verfluchten dreigehörnten Schattenfressern …!
Ein lauter Schrei brachte ihn zurück ins Diesseits. Lys wirbelte herum und erblickte Onkar, der erfolglos vor Kirian zu fliehen versuchte. Der junge Mann stolperte, während er rückwärts schritt, prallte gegen einen von Lys’ Soldaten, ging zu Boden. Er schrie dabei die ganze Zeit über anhaltend, nicht vor Schmerz, sondern vor schierer Panik. Kirian sprach kein Wort, musste es auch nicht: Sein Gesicht war eine einzige finstere Drohung, und in seinen Augen glühte das eisige Feuer, das Lys nur zur Genüge kannte und fürchtete. Onkar krabbelte hilflos auf dem Boden umher, kauerte sich schließlich, als ihm klar wurde, dass er nicht mehr fliehen konnte, schreiend in sich zusammen, die Arme schützend über den Kopf gehoben. Kirian packte ihn, zerrte ihn in die Höhe und schleuderte ihn mit dem Rücken gegen einen Baumstamm. Noch bevor Onkar erneut in sich zusammensacken konnte, hielt Kirian ihm zwei Messer überkreuz unter das Kinn. Der junge Mann erstarrte, am ganzen Leib zitternd, das Gesicht nun zu einem stummen Schrei verzerrt.
„Kir…“ Albor trat zögernd neben ihn, wagte allerdings offensichtlich nicht, für Onkar Partei zu ergreifen. Lys war sich auch nicht sicher, ob es klug war, Kirian in einem solchen Moment in die Quere zu kommen; zu tief steckte die Angst in ihm, was geschehen konnte, wenn das eisige Feuer ausbrach.
„Er ist das, was ich noch klären muss, bevor ich dir erzähle, wie Maruv mich kriegen konnte“, knurrte Kirian, ohne den Blick von Onkar zu lassen. „Eigentlich wärst du schon tot, Verräter!“, zischte er dem heulenden jungen Mann zu. „Aber Lys sagte, du hättest bei der Suche nach mir geholfen, und das Lager hier ist nicht von Maruvs Soldaten umstellt, obwohl du ihn längst hättest herholen können.“ Er trat dichter an Onkar heran, übte leichten Druck mit den Messerklingen aus, die beidseitig in Onkar Hals ritzten – ganz sachte nur, sodass lediglich einige wenige Tropfen Blut zu fließen begannen. Onkar wimmerte, er presste den Kopf soweit wie möglich nach hinten. Sein Adamsapfel bewegte sich hektisch.
„Du hast uns eine wirre Geschichte erzählt, von irgendwelchen Männern irgendeines Freiherrn, die dich geschnappt hätten, aber glücklicherweise konntest du ihnen entkommen. Ich habe dir geglaubt, Onkar, auch, wenn ich kein wirklich gutes Gefühl dabei hatte“, sagte Kirian. Obwohl er nicht laut sprach, war es inzwischen so still geworden, dass alle um sie herum ihn verstehen konnten.
„Du wirst jetzt die Wahrheit sagen, und zwar die gesamte Wahrheit. Wenn ich dir Glauben schenke, wirst du möglicherweise den morgigen Tag noch erleben.“
Sein Kopf ruckte herum, er suchte Lys’ Blick. „Er war da“, zischte er. „Er war da, in der Nacht, als ich gefangen genommen wurde.“
Leises Murmeln brandete hinter Lys auf, das sofort wieder verebbte, als Onkar unterbrochen von gelegentlichem Schluchzen zu reden begann.
„Wir waren irgendwo in der Mitte von Onur, als ich geschnappt wurde, so wie ich’s gesagt hab“, wimmerte er jämmerlich. „’s waren aber keine Leute vom Freiherrn, sondern von Corlin.“
Lys stöhnte innerlich auf. Wenn sein Vater daran beteiligt war …
„Der alte Corlin war’s, der war unterwegs zu irgendwem, was weiß ich … Bin denen in die Arme gelaufen, als ich spähen sollte, wie ich’s gesagt hab. Ich war feige, Sheruk.“ Er schniefte laut, bevor er hastig fortfuhr: „Die Soldaten hatt’n angefangen mich aufzumischen. Das waren so viele, die haben gelacht und gerufen, dass mein Kopf brennt, so rotes Haar sei doch nich’ normal. Dann ha’m die mich zu
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