Die Saat der Finsternis (German Edition)
Tränenflut mit aller Kraft zurück.
„Wir sind bereit dir zu folgen, Lys, und sei es in den Tod“, flüsterte Kirian in sein Ohr. „Denn wenn du es nicht schaffst, diese Allianz aus starrsinnigen alten Böcken zu zerbrechen, wird es keine Hoffnung mehr geben. Wenn diese Dickschädel tot sind, wer soll dann auf den Thron folgen? Lichterfels und Corlin haben keinen weiteren Erben mehr, Robans Sohn ist zu jung. Wenn ich von den Toten auferstehe, gibt es Krieg! Der Nächste in der Reihe wäre dein Vetter Albart, dieser Narr, der seinen eigenen Kopf nicht findet, um ihn zu kratzen, aber da würden mindestens drei Fürsten Einspruch erheben. Der Erbfolgekrieg würde möglicherweise über Jahrzehnte toben und Onur zerreißen. Jede Handbreit Erde zwischen den Eisenbergen und dem Meer wäre mit Blut getränkt, und das weißt du genau. Du kannst nur gewinnen, denn wenn du verlierst, wird das Ergebnis immer noch besser sein, als hättest du nichts getan.“
Lys atmete mühsam aus, er erstickte sich beinahe selbst in dem Versuch, weder zu weinen noch zu schreien. Bebend entzog er sich Kirian ein zweites Mal und schwankte einige Schritte vorwärts, zum nächsten Baum, der ihm Halt schenkte, bis der Sturm in seinem Inneren zum Erliegen kam und noch mehr verwüstete Finsternis zurückließ. Die vollkommene Stille wurde lediglich vom Spiel der beiden Kinder durchbrochen, die sich von den Ängsten und Sorgen der Erwachsenen nicht beeindrucken ließen. Ohne denken, fühlen oder sich auch nur bewegen zu können beobachtete Lys seinen Sohn, der mit all dem Ungeschick eines Zweijährigen versuchte, einen Turm aus Steinen und Holzstücken zu bauen. Immer wieder fiel das Gebilde um, bis Lynn schreiend vor Wut nach seinem Spielzeug trat und enttäuscht aufheulte. Anniz bewegte sich auf ihn zu, doch Lys winkte sie zurück und sie gehorchte.
Marjis, die bislang still neben ihm gesessen und zugesehen hatte, sammelte alles ein und begann, für sich selbst einen Turm zu bauen. Lynns Geschrei verstummte sofort, und er hockte sich zu dem Mädchen. Sie war geschickter als er zuvor; mit der Erfahrung einer Vierjährigen schaffte sie, woran er gescheitert war. Lynn wartete, bis der Turm schon fast bis zu seinem Kinn reichte, dann holte er plötzlich aus und stieß das Kunstwerk um. Gespannt wartete Lys auf Marjis Reaktion – würde sie nach dem ihm schlagen? Zu weinen beginnen?
Doch das Mädchen sammelte bloß geduldig alle Steine und Holzteile ein und schob einige auffordernd in Lynns Richtung. Gemeinsam stapelten sie nun Stück um Stück, bis der Turm vollendet war. Die Kinder blickten einander an – und stießen ihn zusammen um. Lynn quietschte vor Vergnügen, Marjis lächelte zumindest ein wenig.
Lys schaute über die Schulter und betrachtete die Menschen, die stumm auf seine nächsten Worte warteten. Auf die Entscheidung, die er treffen würde. Er sah die Hoffnungslosigkeit in ihren Augen. Die Fassungslosigkeit bei einigen, die einfach nicht verstehen konnten, warum er sie im Stich lassen wollte. Das Vertrauen und die Liebe in Kirians Gesicht.
„Macht ist ein seltsames Ding“, sagte Lys. Er zog seinen Dolch und trat zu Kirian heran. „Macht besitzt derjenige, der einem anderen überlegen ist. Trage ich eine Waffe, mein Gegner aber nicht, habe ich die Macht, ihn zu töten.“ Er berührte mit der Spitze der Klinge Kirians Brust, genau über dem Herz. Der zuckte nicht einmal zurück, sondern musterte ihn nur schweigend. „Diese Waffe gibt mir die Macht, dein Leben zu vernichten. Doch nimmt man mir den Dolch, bin ich dir unterlegen, da du stärker bist als ich. Diese Art von Macht begreift jeder.“ Er griff nach Kirians Hand und legte den Dolch hinein. Verständnislos schweigend starrten ihn alle an, wie er zu den beiden Kindern hinüber schritt und sich zu ihnen auf den Boden hockte. Beide strahlten, als er begann, mit ihnen gemeinsam den Turm wieder aufzubauen.
„Eine andere Art von Macht ist diejenige, die allein in den Köpfen der anderen existiert. Maruv ist ein alter, von Schmerzen gebeugter Mann, der sich kaum noch rühren kann. Trotzdem gehorchen ihm alle, er ist schließlich der König! Seine Macht beruht genau darauf, dass alle glauben, einem König muss man sich beugen. Archym verliert sein Augenlicht und sein Geist ist gebrochen, mein Vater war zeit seines Lebens ein unfähiger Taktierer. Niemand würde auch nur einen dieser drei Männer freiwillig als Führer wählen, doch es gibt gar keine Wahl. Sie sind die
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