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Die Saat - Ray, F: Saat

Die Saat - Ray, F: Saat

Titel: Die Saat - Ray, F: Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fran Ray
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Cognac. Er soll nach Eichenholz, Orange und Schokolade schmecken, hat Sylvie gesagt, als sie vor ein paar Monaten mit dem Geschenk eines Patienten nach Hause kam und ein Glas mit ihm trinken wollte. Doch er lehnte ab, weil er mitten im Schreiben war und noch nicht bereit für einen gemütlichen Abend zu zweit. Danach hat sie ihn nicht mehr gefragt. Da liegt noch etwas neben dem Bett auf dem Boden. Ein Blatt Papier. Hat sie eine Botschaft hinterlassen? Ich bin unheilbar krank. Das Leben lohnt sich nicht. Ich bin an dir zerbrochen. Du konntest mich nicht retten. Warum hast du mich alleingelassen? Machen diese Sätze nicht alles noch schlimmer? Soll er sie überhaupt lesen? Er bückt sich.

    Verzeih mir S.

    Darunter, kaum lesbar, mit zitternder Hand geschrieben:

    (Jesaja 28,17)

    Es ist ihre Handschrift. Und es sind sicher auch ihre blutigen Fingerabdrücke. Der Satz macht ihn wütend. Warum soll ich dir verzeihen, Sylvie, wenn du dich einfach so aus dem Leben stiehlst? Und warum hast du auch noch die Bibel bemüht! Das ist doch sonst nicht dein Stil! Und dann nur das knappe S. Hast du mir nicht einmal mehr deinen Namen zurücklassen können? Ethan zieht sein Handy aus dem Mantel und ruft endlich die Polizei. Dann sinkt er auf den falschen Louis-XIV.-Stuhl, starrt hinaus auf die zarten rosa Kirschblüten. Es muss alles ein großer Irrtum sein. Eine Halluzination. Ein Albtraum.
11
    Nicolas hat vom Commissariat aus die Métro genommen. Ein Fehler, wie er nach wenigen Minuten auf dem Bahnsteig von Maubert Mutualité feststellen musste. All die Menschen machten ihm Angst. Dennoch blieb er, stieg in seine Linie und zwang sich, nichts um sich herum wahrzunehmen. Sah nur noch auf seine Sneakers. An der Station Cluny La Sorbonne ist er drauf und dran, aus dem Abteil zu stürzen, doch er klammert sich an die Haltestange, zwingt sich bis zur nächsten, Odéon, durchzuhalten. Auf seiner Stirn liegt kalter Schweiß, und auch seine Handflächen sind klebrig, als er jetzt aussteigt und im Laufschritt an die Oberfläche drängt. Es ist genau das geschehen, was Nicolas nicht gewollt hat: Er hat bei diesen Polizisten das ganze Grauen noch einmal erleben müssen. Er fühlt sich miserabel, ausgelaugt, erschöpft und voller Panik. Als er endlich die Treppe hinter sich hat und auf dem Bürgersteig ankommt, bleibt er kurz stehen und ringt nach Luft. Unwillkürlich greift er sich links auf die Brust, um sein rasendes, wild hämmerndes Herz zu beruhigen. Eine ältere Frau sieht ihn besorgt an, geht dann aber weiter. Niemand sonst nimmt Notiz von ihm. Er könnte tot umfallen, und die Leute würden einfach über ihn drübersteigen. Wie die Ratten im Labor … Nein, er will nicht mehr daran denken. Er muss diese Bilder aus seinem Kopf herauskriegen. Er muss! Sonst wird er wahnsinnig! Er schluckt.
    Vorhin, auf dem Commissariat, hat er Jean-Marie kurz angerufen und ihm Bescheid gegeben, dass es ein wenig später wird. Jean-Marie ist schon in Nicolas’ Wohnung, und er hat versprochen, auf ihn zu warten. Nicolas gibt sich einen Stoß. Geh endlich heim! Seine Autosuggestion funktioniert, er geht die Stufen zum Haus hoch und macht die Tür auf. Der vertraute Geruch nach Bohnerwachs empfängt ihn, und er fühltsich wieder geborgen in Ordnung und Sauberkeit. Er überlegt, ob er läuten soll, damit Jean-Marie ihm öffnet, doch dann entscheidet er, selbst aufzuschließen und ihn zu überraschen. Vielleicht stöbert der gerade auf Nicolas’ Laptop, um zu überprüfen, welche Pornoseiten er besucht und in welchen Chatrooms er aktiv ist. Bei Romeo war er vorgestern ziemlich lange, erinnert er sich. Doch schon schiebt sich wieder die Erinnerung an die letzte Nacht in den Vordergrund. Wie soll er jemals wieder entspannen, jemals wieder schlafen, jemals wieder Sex haben?
    Er stößt die Tür auf.
    Ein Glas mit einem Rest Orangensaft steht auf dem Couchtisch.
    »Jean-Marie?« Manchmal hat sein Freund schon im Bett auf ihn gewartet, nackt oder in Leder. Er schiebt den Vorhang zum Schlafzimmer zur Seite. Der schwarze Satinbezug ist unberührt. Jean-Marie ist nicht da. Er wollte doch warten! Nicolas geht zurück ins Wohnzimmer. Seltsam, vielleicht ist er kurz weg, um noch etwas einzukaufen. Er geht wieder zurück ins Wohnzimmer, zieht sein Handy aus der Tasche und ruft Jean-Maries Nummer an. Da klingelt es irgendwo im Zimmer. Er bückt sich und sieht Jean-Maries Handy am Boden unter der Couch blau aufleuchten. Wieso hat Jean-Marie sein Handy da hingelegt? Als

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