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Die Saat - Ray, F: Saat

Die Saat - Ray, F: Saat

Titel: Die Saat - Ray, F: Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fran Ray
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Piacenza lässt der Verkehr etwas nach. Ein Stau unmittelbar vor Parma lässt ihn nervös werden, doch nach fünf Kilometern fließt der Verkehr wieder. Er nimmt die Tangenziale Nord und biegt dann in die Via San Leonardo ein. Er stellt den BMW am Bahnhof ab und lässt sich mit dem Taxi zur Piazza del Duomo fahren. Er selbst hätte sich sicher mehrmals verfahren.
    Der Taxifahrer ist glücklich, sein Englisch anbringen zu können, und lässt sich von Ethans Wortkargheit nicht abhalten, ihm etwas über seine Stadt zu erzählen, in der er geboren ist, wie er mit einem stolzen Blick in den Rückspiegel erklärt. Parma habe weniger als zweihunderttausend Einwohner, gehöre aber mit Mailand, Turin, Genua, Bologna und Venedig zu den führenden norditalienischen Wirtschaftszentren. Der Parmesan sei ja weltberühmt, wie auch der Parmaschinken, Barilla nicht zu vergessen. Leider habe der Konzern Parmalat einen Schatten auf die Stadt geworfen. Dreiundzwanzig Milliarden Euro veruntreut, das müsse man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Und den Fußball habe das natürlich auch schwer getroffen. Ethan hört dem bemühten Englisch irgendwann nicht mehr zu.
    Es ist kurz vor drei, als er endlich am Dom ankommt. Eine Touristengruppe verlässt gerade die Kirche durch das Hauptportal. Ethan bleibt einen Moment stehen und sieht an der Fassade hoch. Sollte Dr. Antonelli diese Monatsbilder gemeint haben? Er kennt diese Tafeln oder Reliefs von anderen oberitalienischen Kirchen: Mit dem Monat März beginnt der Zyklus des Jahres: Aussaat, Pflege und Ernte. Er wird sie gleichdanach fragen können. Dann folgt er dem Schild, das über den Platz mit den runden Pflastersteinen zum Baptisterium weist. Der Grundriss des mehrstöckigen turmartigen Gebäudes ist achteckig, das hat er vorhin im Flugzeug gelesen.
    Über einem der Eingänge fällt ihm inmitten der Szenen aus dem Leben Johannes des Täufers die mit seiner Enthauptung auf. Wer hatte die Enthauptung gefordert? Salome? Ist das die Anspielung auf die Ermordung von Professor Frost?
    Er geht hinein. Goldglanz empfängt ihn – und eine Menge Touristen. Er schätzt, dass sich mehr als achtzig Menschen im Baptisterium befinden.
    Ethan hält Ausschau nach einer Frau mit einem dicken Buch. Er hat keine Ahnung, wie alt Dr. Antonelli ist, ob sie groß oder klein, schlank oder dick ist, welche Haarfarbe sie hat. Dahinten steht eine einzelne Frau, vertieft in den Anblick eines Freskos. Sie hält einen dünnen Reiseführer in der Hand. Er wartet. Zwei Touristengruppen verlassen die Taufkirche, dafür kommen sechs Asiaten herein. Keiner von ihnen trägt ein dickes Buch. Die Frau mit dem Reiseführer steht immer noch vor einem der Bilder und liest. Und wenn Dr. Antonelli ein dünnes Buch gemeint hat? Vielleicht hat sie sich versprochen, oder sie hatte kein anderes zur Hand. Er wartet noch bis zehn nach drei, dann entschließt er sich, sie anzusprechen.
    »Entschuldigen Sie, Dr. Antonelli?«
    Sie hat große dunkle Augen mit schweren Tränensäcken und dunkelrot geschminkte Lippen. Sie sieht ihn an, als hätte er sie aus einem tiefen Schlaf aufgeschreckt, und schüttelt dann den Kopf. Ethan murmelt eine Entschuldigung und geht.
    Draußen auf dem Domplatz wählt er ihre Nummer. Leider hat er nicht ihre Handynummer, er hat versäumt, sie darum zu bitten. Wenn sie unterwegs ist und aufgehalten wurde, kann er sie auf ihrem Festnetztelefon nicht erreichen. Erbeschließt, wieder in die Taufkirche zu gehen und noch eine halbe oder gar eine Stunde zu warten. Er wird seinen Rückflug verpassen, aber darauf kommt es jetzt nicht an. Er setzt sich in die hinterste Stuhlreihe. Sylvie und er liebten romanische Kirchen, weil sie schlicht sind, archaisch. Im Lubéron – es muss vor vier oder fünf Jahren gewesen sein – hielten sie in jedem Ort an und besichtigten die Kirche oder ein Kloster. Sie aßen warmen Schafskäse und schlenderten über den Markt von Fourcalquier. Sylvie entdeckte in einem Laden ein Gemälde mit einem Olivenbaum und wollte es unbedingt haben. Es hängt im Wohnzimmer gegenüber vom Brunnen. Sie erwartete ein Kind, und er hat es nicht gewusst. Sollte denn alles zwischen ihnen eine Lüge gewesen sein?
    »Mister Harris?«
    Er blickt nach rechts, wo das Flüstern herkam. Sie ist ungefähr Ende fünfzig, ihr graues Haar ist in Pagenform geschnitten. Ihre Haut sieht fleckig aus, wie die einer blassen Nordeuropäerin, die zu lange im Süden gelebt hat. Sommersprossen, geplatzte Äderchen,

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