Die Saat - Ray, F: Saat
eine SMS bekommen hat.
Scott. »Wie geht’s?«
Er schreibt zurück: »Was ist DMR A?« Schickt sie ab und wünscht sich im selben Moment, er hätte es nicht getan. Es sind schon genügend Menschen gestorben.
Er hat keinen Appetit mehr auf Pizza und stellt den Backofen aus, trinkt noch drei Gläser Rotwein und fühlt sich endlich müde genug, um schlafen zu gehen. Er schaltet den Fernseher im Schlafzimmer ein und zappt durch die Programme, bis er an einem Dokumentarfilm über Löwen hängen bleibt. Da die Menschen den Lebensraum der Wildtiere immer weiter einengen, finden die Löwen nicht mehr genug Nahrung. Deshalb kommt es immer öfter vor, dass sich die Wildkatzen an Dörfer heranschleichen und wehrlose Kinder, Frauen und ältere Menschen anfallen, sie in den Busch schleppen und fressen. Ein paar Mal will Ethan wegzappen, doch etwas fasziniert ihn. Wie die Natur aufbegehrt, wie sie versucht, ihr Gleichgewicht wiederherzustellen …
Er sieht sich noch einen Film über Seelöwen an und schläft darüber ein.
Irgendwann wacht er auf, erschreckt von Sylvies weißem totem Körper und einer verstümmelten Fratze. Er will liegen bleiben, zurück in tiefen Schlaf fallen, doch da glaubt er, ein Geräusch zu hören. Ein Kratzen, Schaben. Sofort ist er hellwach. Seine Augen versuchen, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Ein schwacher Lichtschimmer fällt durch die Terrassentür herein, er hat die Vorhänge nicht zugezogen. Er liegt auf der Seite, mit dem Rücken zur Tür, er muss sich umdrehen, er muss prüfen, ob da jemand hereingekommen ist. DasJahr in der australischen Armee springt in sein Bewusstsein. Ausbildung im Nahkampf. Mit und ohne Waffe. Taekwondo, Karate. Er wollte sich bestrafen, dafür dass … er all die Jahre so sorglos gelebt hat, während Tony gestorben ist. Die Reflexe sind wieder da. Als hätte er seine Frequenz erhöht. Als könnte er intensiver riechen, hören und sehen.
Sie wollten ihn in Parma töten, nun müssen sie es hier tun. Jeder Gedanke lähmt ihn, er muss aufhören zu denken. Dreh dich um, jetzt! Mitten in der Bewegung durchdringt ihn ein brennender Schmerz, wütend bäumt er sich auf, wirft sich einem Schatten entgegen, doch der entwindet sich ihm. Nur für Bruchteile von Sekunden kann er ein Stück Stoff fassen. Etwas wirft ihn um, ein Knie? Ein Baseballschläger?, rammt in seinen Unterleib. Ein heißer Schmerz schießt in seinen Körper, füllt ihn aus, doch Ethan weiß, wenn er sich ihm ergibt, ist er tot. So bäumt er sich mit all seiner Kraft auf, wirft sich brüllend dem Angreifer entgegen, der entwindet sich, Ethan schlägt auf den Boden, rappelt sich auf und stolpert zur Tür. Doch der andere ist schneller, schon knallt die Tür zu. Ethan reißt sie wieder auf, aber er hört nur noch, wie die Schritte im Treppenhaus immer leiser werden. Er will hinterher, da spürt er ein scharfes Brennen an seinem Hals, er tastet dorthin, wo es heiß ist und wehtut. Eine warme Flüssigkeit klebt an seinen Fingern. Polizei, Krankenwagen … Er muss zurück, sein Handy holen, wo, verdammt, hat er es hingelegt? Im Schlafzimmer auf den Nachttisch. Er will danach greifen, stößt die Lampe um, fegt den Wecker zu Boden und das Telefon auch. Verdammt! Er streckt den Arm zur Wand aus, wo ist der verfluchte Lichtschalter? Endlich, es wird hell. Er braucht einen Spiegel. Er stolpert ins Bad und sieht ein blasses Gesicht – sein blasses Gesicht und darüber … Auf den Spiegel hat jemand mit schwarzer Farbe gesprüht:
Halt dich raus!
Und dann sieht er das Blut an seiner Hand. Als er sie wegnimmt, kann er den dünnen Schnitt quer über seinen Adamsapfel sehen. Vier Fingerbreit trennen ihn von der Halsschlagader.
Kein Albtraum. Wirklichkeit.
Er reißt den Spiegelschrank auf, greift zum Sprühverband und unterdrückt den schneidenden Schmerz, als der Schaum die Wunde bedeckt. Dann klebt er ein Pflaster darüber. Er will keine Schnitte an seinem Körper sehen.
Im Wohnzimmer schaltet er das Licht an, der Springbrunnen beginnt zu laufen. Hier ist alles unberührt. Kein umgeworfener Blumentopf, keine abgeknickte Orchidee. Was, verdammt, will man von ihm? Er braucht einen Plan. Und eine Waffe. Vor vier Jahren hat er einen Roman über einen ehemaligen Bankräuber geschrieben. Dabei hat er Thierry Hulot kennengelernt, genannt Zouzou. Zehn Minuten später hat er seine Nummer gefunden und ihm eine Nachricht hinterlassen. Anschließend schiebt er die Kommode vor die Tür, obwohl er fast sicher ist, dass
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