Die Saat
Beamten kam zum Schreibtisch des diensthabenden Sergeants, der sich gerade um die Formalitäten von Setrakians Festnahme kümmerte, und wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. »Durchgeknallter Latino! War schon zweimal im Jugendknast, gerade achtzehn geworden. Diesmal hat er bei einer Schlägerei einen Mann umgebracht. Er und sein Kumpel müssen den Kerl überfallen und ihm die Klamotten ausgezogen haben. Haben tatsächlich versucht, ihn mitten auf dem Times Square auszunehmen. «
Der Diensthabende verdrehte die Augen und hackte weiter auf die Tastatur ein. Er stellte Setrakian eine Frage, doch der hörte ihn nicht - der alte Mann ballte seine verkrümmten Hände zu Fäusten und sah die Zukunft. Sah Tod und Vernichtung. Sah Dunkelheit. Sah die Hölle auf Erden.
In diesem Augenblick fühlte er sich wie der älteste Mensch auf der Welt.
Doch dann wurde seine Panik von einem noch düstereren Gefühl verdrängt: Rache. Er hatte eine zweite Chance bekommen. Der Widerstand, der Kampf, der bevorstehende Krieg - all das würde mit ihm beginnen.
Strigoi.
Die Seuche war ausgebrochen.
Jamaica Hospital Medical Center:
Isolierstation
Jim Kent lag in einem Krankenhausbett und trug immer noch seine normale Kleidung. »Das ist wirklich lächerlich«, sagte er. »Mir geht es gut.«
»Dann nennen wir's einfach eine Vorsichtsmaßnahme«, erwiderte Eph, der mit Nora vor dem Bett stand.
»Was ist schon groß passiert? Okay, er hat mich ausgeknockt, als ich durch die Tür kam. Ich glaube, ich war etwa eine Minute weg. Vielleicht habe ich eine leichte Gehirnerschütterung. «
Nora nickte. »Es ist nur, damit ... Du bist einer von uns, Jim - wir wollen sichergehen, dass wir wirklich nichts übersehen haben.«
»Aber warum die Isolierstation?«
Eph zwang sich zu einem Lächeln. »Warum nicht? Wir sind doch ohnehin die ganze Zeit hier. Sieh es mal so: Du hast den ganzen Flügel nur für dich. Für New York City gar nicht so schlecht, oder?«
Jims gequälte Miene zeigte, dass ihn das nicht sonderlich überzeugte. »Na schön«, sagte er schließlich. »Aber gebt mir wenigstens mein Handy, damit ich zumindest das Gefühl habe, noch Teil des Geschehens zu sein.«
»Ja, machen wir, Jim. Nur noch ein paar Tests.«
»Und sagt Sylvia, dass mit mir alles in Ordnung ist. Sonst kriegt sie Panik.«
»Okay.«
Nora und Eph verließen das Zimmer und blieben einen Moment vor der Tür stehen, sahen sich an. »Wir müssen es ihm sagen«, sagte Nora.
»Ihm was sagen? Zuerst müssen wir mal herausfinden, womit wir es hier überhaupt zu tun haben.«
Als sie durch die Schleuse nach draußen gingen, erhob sich eine Frau mit wuscheligem Haar, das sie mit einem Stirnband zurückgebunden hatte, von einem Plastikstuhl. Jim lebte mit seiner Freundin Sylvia, die für die
New York Post
Horoskope schrieb, in einem Apartment in den East Eighties. Sie hatte fünf Katzen mit in die Beziehung gebracht, er einen Finken was für eine latent angespannte Atmosphäre sorgte. »Darf ich zu ihm?«, fragte Sylvia.
» Tut mir leid«, erwiderte Eph. »Die Vorschriften. Zutritt ausschließlich für medizinisches Personal. Aber Jim hat mich gebeten, Ihnen zu sagen, dass es ihm gut geht.«
Sylvia berührte seinen Arm. »Und was sagen
Sie?«
»Er sieht gesund aus. Wir wollen aber auf alle Fälle noch eine Reihe von Tests durchführen.«
»Man hat mir gesagt, er sei ohnmächtig geworden und jetzt noch ein bisschen benebelt. Warum liegt er dann auf der Isolierstation? «
»Sie wissen doch, wie wir arbeiten, Sylvia. Immer erst das Schlimmste ausschließen. Schritt für Schritt vorgehen.« Sylvia sah Nora an, suchte offenbar weibliche Unterstützung.
Nora nickte aufmunternd. »Sie kriegen ihn schon bald zurück.«
An der Tür zum Obduktionsbereich im Keller des Krankenhauses wurden Eph und Nora von einer Verwaltungsangestellten erwartet. »Dr. Goodweather, das verstößt gegen sämtliche Vorschriften. Diese Tür darf niemals abgeschlossen sein, und das Krankenhaus besteht darauf, über alles unterrichtet zu werden, was hier vorgeht ... «
»Es tut mir leid, Ms. Graham«, sagte Eph, der ihren Namen von dem Ausweis an ihrem Kittel ablas, »aber es handelt sich um eine offizielle Untersuchung der CDC.« Eigentlich war es nicht seine Art, wie ein Bürokrat auf seine Autorität zu pochen, doch gelegentlich hatte es auch Vorteile, für eine Regierungsbehörde zu arbeiten. Er zog den Schlüssel heraus, den er sich zuvor beschafft hatte,
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