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Die Saat

Die Saat

Titel: Die Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillermo Del Toro
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öffnete die Tür und betrat zusammen mit Nora den Saal. »Vielen Dank für Ihre freundliche Unterstützung«, sagte er noch und schloss hinter ihnen ab.
    Das Licht schaltete sich automatisch ein. Mit einem Laken bedeckt, lag Redferns Leiche auf einem Stahltisch. Eph zog sich Gummihandschuhe über und öffnete den Rollwagen mit den Autopsieinstrumenten.
    Nora streifte sich ebenfalls Handschuhe über. »Wir haben noch nicht mal einen Totenschein, Eph. Du darfst ihn nicht einfach so aufschneiden.«
    »Keine Zeit für Formalitäten, solange wir nicht wissen, was mit Jim los ist. Außerdem - keine Ahnung, wie wir seinen Tod erklären sollen. Du kannst es drehen und wenden, wie du willst - ich habe diesen Mann umgebracht. Meinen eigenen Patienten.«
    »In Notwehr, ja.«
    »Ich weiß das, du weißt das. Aber erklär das mal so der Polizei.«
    Eph nahm das große Skalpell und führte zwei Schnitte aus, vom linken und rechten Schlüsselbein schräg zum Brustbein. Ein gerader Schnitt die Mittellinie des Rumpfes entlang zum Schambein komplettierte das klassische Y. Dann klappte er die Haut und die darunterliegende Muskulatur zur Seite und legte Brustkorb und Bauchraum frei. Ihm fehlte die Zeit für eine ordnungsgemäße Autopsie, aber er musste unbedingt etwas überprüfen, was ihm bei Redferns Tomographie aufgefallen war.
    Mit Wasser aus einem Gummischlauch spülte er die weiße, blutähnliche Substanz fort, um sich die unterhalb der Rippen liegenden Organe näher anzusehen. Die Brusthöhle war ein einziges Durcheinander, vollgestopft mit einer schwarzen Masse, die über dünne, aderähnliche Auswüchse mit den geschrumpften Organen des Piloten verbunden war.
    »Mein Gott«, flüsterte Nora.
    Eph beugte sich vor. »Es hat seinen Körper vollständig übernommen. Sieh dir das Herz an.«
    Das Organ war deformiert, wirkte wie eingefallen. Die arterielle Struktur war ebenfalls verändert, das ganze Kreislaufsystem war deutlich vereinfacht. Die Arterien selbst waren mit einem dunklen, an Fäulnis erinnernden Belag überzogen.
    »Unmöglich«, sagte Nora. »Seit der Landung sind erst sechsunddreißig Stunden vergangen.«
    Eph zog die Haut an Redferns Hals auseinander und legte den Rachen frei. Der neu entstandene Körperteil war aus den Taschenfalten über den Stimmbändern gewachsen und verlief ähnlich einem Krebsgeschwür die Luftröhre entlang. Der Auswuchs, der offenbar als Stachel diente, war eingezogen.
    Eph beschloss abzubrechen. Den Muskel oder das Organ - oder was auch immer es war - würde er zu einem späteren Zeitpunkt vollständig entnehmen, um seine Funktion zu ermitteln.
    Sein Handy klingelte. Er wandte sich Nora zu, damit sie es mit ihren sauberen Handschuhen aus seiner Tasche ziehen konnte. »Die Gerichtsmedizin«, sagte sie mit einem Blick auf das Display und nahm das Gespräch an. Und dann, nachdem sie einige Sekunden lang zugehört hatte: »Wir sind gleich da.«
     
    Gerichtsmedizin, Manhattan
     
    Everett Barnes traf zeitgleich mit Eph und Nora vor dem OCME-Gebäude an der Ecke 30th Street und First Avenue ein, wo Streifenwagen und Kamerateams diverser Fernsehsender die Kreuzung weitgehend blockierten. Wie immer unverwechselbar mit Ziegenbart und marineähnlicher Uniform, stieg der Direktor aus dem Auto.
    Im Eingangsbereich empfing sie Dr. Julius Mirnstein, New Yorks leitender Gerichtsmediziner. Mirnstein war bis auf einen schütteren braunen Haarkranz kahl und hatte ein schmales Gesicht; zum obligatorischen weißen Arztkittel trug er eine graue Hose. »Wir
glauben,
dass letzte Nacht hier eingebrochen wurde - wir
wissen
es nicht.« Mirnstein blickte auf einen umgestoßenen Computermonitor und Bleistifte, die auf den Boden gerollt waren. »Bislang haben wir noch niemanden, der letzte Nacht Dienst hatte, telefonisch erreichen können. Folgen Sie mir.«
    Auf den ersten Blick schien im Obduktionssaal im Keller alles in Ordnung zu sein; es gab keinerlei Anzeichen von Vandalismus. Doch dann führte sie Mirnstein zum Kühlraum.
    Er war so gut wie leer. Auf dem Boden unter den Bahren lagen achtlos beiseitegeworfene Laken und Kleidungsstücke. An der linken Wand einige wenige Bahren mit Leichen. Aber die Toten aus dem Flugzeug waren ohne Ausnahme verschwunden.
    »Wo sind sie hin?«, fragte Eph verwirrt.
    »Tja, das ist es ja«, erwiderte Mirnstein. »Wir wissen es nicht.«
    Direktor Barnes starrte den Gerichtsmediziner ungläubig an. »Wollen Sie damit allen Ernstes sagen, dass jemand hier eingebrochen ist und rund

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