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Die Saat

Die Saat

Titel: Die Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillermo Del Toro
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dem Eintreten lehnte der alte Mann seinen Stab an die Wand und berührte die Mesusa.
    »Haben Sie Hunger?«, fragte er, hob den Deckel einer extravaganten Keksdose, nahm eine Packung Schokotörtchen heraus und riss das Zellophanpapier auf. »Mein Rat:
    Lassen Sie Ihren Energiepegel niemals zu weit absinken. Immer bei Kräften bleiben.« Der alte Mann biss in ein cremegefülltes Törtchen und verschwand dann im Schlafzimmer, offenbar um sich umzuziehen.
    Eph und Nora sahen sich unterdessen etwas um. Trotz der Unordnung roch es sauber in der Wohnung. Auf dem Esstisch, an dem nur ein Stuhl stand, bemerkte Nora ein gerahmtes Schwarz-Weiß-Porträt: eine junge Frau mit tiefschwarzem Haar in einem schlichten dunklen Kleid, die auf einem großen Felsen an einem menschenleeren Strand posierte, die Hände über dem nackten Knie verschränkt, ein zauberhaftes Lächeln auf dem Gesicht. Eph ging in den Flur und betrachtete die alten Spiegel an den Wänden - es waren Dutzende, alle von unterschiedlicher Größe und keiner davon mehr heil. Hunderte alter Bücher stapelten sich zu beiden Seiten des Ganges auf dem Boden.
    Als Setrakian wiederauftauchte, hatte er einen alten Tweed-Anzug mit Weste, Hosenträger, Krawatte und braune, polierte Lederschuhe an. Seine versehrten Hände steckten immer noch in den Wollhandschuhen mit den abgeschnittenen Fingerspitzen.
    »Wie ich sehe, sammeln Sie Spiegel«, sagte Eph.
    »Eine bestimmte Sorte, ja. In altem Glas ist viel zu sehen.«
    »Na schön, könnten Sie uns jetzt freundlicherweise erzählen, was hier los ist?«
    Setrakian neigte den Kopf. »Nun, das ist nichts, was man einfach so zwischen Tür und Angel erzählt. Die Wahrheit muss ... enthüllt werden.« Er ging an Eph vorbei zur Wohnungstür. »Bitte kommen Sie. Kommen Sie.«
    Sie folgten ihm wieder die Treppe hinunter, blieben jedoch nicht in der Pfandleihe im Erdgeschoss stehen, sondern stiegen durch eine gleichfalls verriegelte Tür ein weiteres gewundenes Treppenhaus hinab. Setrakians knotige Hand glitt das kühle Eisengeländer entlang. Als er sprach, füllte seine Stimme den schmalen Raum fast vollständig aus. »Was bin ich? Ich bin der Bewahrer eines uralten Wissens, gehütet von lange verstorbenen Menschen, nur noch in längst vergessenen Büchern zu finden.«
    »Als Sie uns vor der Gerichtsmedizin ansprachen«, sagte Nora, »haben Sie eine ganze Reihe seltsamer Dinge gesagt. Etwa, dass die Toten aus dem Flugzeug nicht normal verwesen würden.«
    »Das ist richtig.«
    »Und worauf beruht diese Behauptung?« »Auf meiner Erfahrung.«
    »Erfahrung mit anderen Vorkommnissen im Zusammenhang mit Flugzeugen?«
    »Der Umstand, dass es in einem Flugzeug geschehen ist, ist völlig nebensächlich. Ich habe dieses Phänomen bereits zuvor beobachtet. In Budapest, in Basra, in Prag und keine zehn Kilometer außerhalb von Paris. In einem winzigen Fischerdorf am Ufer des Gelben Flusses und in gut zweitausend Metern Höhe im mongolischen Altai-Gebirge. Und ja, auch auf diesem Kontinent habe ich es schon beobachtet. Dinge, die als Tollwut, Schizophrenie, Irrsinn oder als Wüten eines Serienmörders abgetan werden ... «
    »Moment, Moment. Sie haben also Leichen gesehen, die viel zu langsam verwesen?«
    »Das ist das erste Stadium, ja.« »Das erste Stadium?«
    Wieder standen sie vor einer verschlossenen Tür. Setrakian holte zwei Schlüssel hervor, die nicht mit den anderen am Schlüsselbund, sondern an einer Kette um seinen Hals hingen, und öffnete erst ein großes, dann ein kleines Vorhängeschloss. Als die Tür nach innen schwang, flackerten helle Lampen automatisch auf. Sie folgten ihm in den von einem Summen erfüllten Kellerraum.
    Als Erstes sprang Eph eine Wand mit Rüstungen ins Auge.
    Hier schien es alles zu geben: vom großen Plattenharnisch über Kettenhemden bis zu Samurai-Brustpanzern und Halsplatten sowie einfacherer Ausrüstung aus dickem Leder zum Schutz von Hals, Brust und Unterleib. Und Waffen: Schwerter und Messer mit Klingen aus glänzendem kaltem Stahl. Andere, modernere Gerätschaften waren auf einem niedrigen Tisch verteilt: Nachtsichtbrillen und Nagelpistolen, deren Akkus in Ladegeräten steckten.
    »Das Geschäft« - Setrakian deutete nach oben - »hat mir zwar immer einen anständigen Lebensunterhalt gesichert, doch ich bin nicht wegen einer besonderen Vorliebe für Transistorradios oder Familienschmuck in dieser Branche gelandet.« Er schloss die Tür hinter ihnen. Jetzt sah Eph, dass rund um den Türstock Leuchten

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