Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sache mit dem Ich

Die Sache mit dem Ich

Titel: Die Sache mit dem Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Fischer
Vom Netzwerk:
Ist es richtig, dass der Hume hier schon von Jay-Z gekauft ist?«
    »Mehr, als dass er bis morgen reserviert ist, darf ich nicht verraten. Ich sag aber gern Bescheid, wenn sich was ändert.«
    »How much is it?«
    »95 000 Pfund Sterling.«
    »Das geht ja!«
    Das Zittern im Körper, das allein die Möglichkeit verschafft, vielleicht etwas kriegen zu können, was es nur einmal gibt und auch Jay-Z und Beyoncé haben wollen, lässt mich wie einen jungen Prinzen durch die Menge defilieren, die etwas später den Pool des Hotel Delano umfließt. Dennis Hopper ist da, Peaches ist da, Steve Martin läuft herum, Künstler überall, Bob Colacello, Chuck Close. Die eigentlichen Kings und Meisterwerke aber sind die Galeristen – schon bekannte wie Dave Zwirner, Judy Lybke, Gavin Brown und Jeffrey Deitch, und auch noch unbekanntere wie André Schlechtriem von Temporary, der von seinen Künstlern Ralf Ziervogel und Erik Schmidt auf der Nebenmesse NADA schon alles verkauft hat und in seiner Zirkusjacke von Dior genau so aussieht wie das, was er werden wird: ein Millionärsdompteur. Die Erregung, in die die Frauen (und Männer) fallen, wenn sie denen gegenüberstehen, die zwischen Gott Kunst und Diener Volk vermitteln, ist fast erniedrigend für die Nichtgaleristen. Auch der Signore, denke ich in diesem Moment, wäre hier nur ein Signore von Tausenden.
    Irgendwann aber, als die ersten Zahlenschätzungen reinkommen, die sowieso niemand kontrollieren kann – über eine Milliarde US- Dollar Umsatz nach den ersten zwei Tagen angeblich –, strahlt der Sex der Kunst auch auf alle anderen ab: auf Celia von Bismarck, die in der Karaokebar des Hotel Shelbourne »I’m feeling lonely«singt; auf Benedikt Taschen, der zu »Walk the line« von Johnny Cash auf einer saitenlosen Gitarre spielt; und auf mich, den Gary-Hume-Interessenten, der an der Bar des Raleigh Hotel nun von einer Frau zum Brandungsknutschen am Strand aufgefordert wird. Doch weil mir die Dame aus irgendeinem Grund vor allem den Kopf mit Sand einreiben will, flüchte ich schnell ins Raleigh zurück, wo Judy Lybke trinkt, der schon weiß, was passiert ist, weil er eben auch am Strand war. »Du musst noch viel lernen«, sagt Lybke, der schon viel kann, schüttet Wodka in mein Glas und lacht wie der kluge Kunstkobold, der er ist.
    Das ist er, der Kunstmarkt 2006: Schlau geführt von den Galeristen, die so schnell geworden sind, dass die Kritiker hinterherhinken müssen, und bezahlt und unterstützt vor allem von der jungen Sammlergeneration, die lieber Bilder als Kinder hat, weil ein Bild die Schnauze hält, wenn man’s nach dem Abendessen vorführt. Eigentlich alles wie immer also, mit dem Unterschied, dass der Spaß noch ein wenig größer und das Wissen ein wenig kleiner geworden ist. Aber das sind sowieso zwei Sachen, die sich immer ausgeschlossen haben. Immer ging’s in der Kunst auch um Simulation, und weil die Zeiten dafür heute so gut sind wie nie, ist der Kunstkaugummi nun da angekommen, wo er vorher noch nie war: bei uns. Und zwar so nah, dass sogar ich am nächsten Morgen, bevor ich überhaupt einschlafen konnte, einen Anruf bekomme. Daniela ist dran: Jay-Z hat abgesagt, der Hume ist wieder zu haben.
    Wann ich denn vorbeikommen könne.

[Menü]
Der Mann, der nicht schwitzte
    Er war einer der bemerkenswertesten Männer, den ich jemals traf, doch was das Bemerkenswerte an ihm war, merkte ich erst, als ich ein paar Runden mit ihm boxte.
    Es war ein heißer Sommertag vor einigen Jahren. Die Halle, in der wir damals trainierten, war nicht klimatisiert, und an diesem Tag muss die Temperatur darin mindestens vierzig Grad betragen haben.
    Es waren nicht die Schläge des Mannes, die mich irritierten: Die waren zwar anständig ausgeführt, wie aus dem Lehrbuch sozusagen, doch kamen sie insgesamt nicht schnell genug, um eine echte Gefahr darzustellen. Seine Deckung hingegen war exzellent.
    Jedes Mal, wenn ich ihn mit einer Kombination angreifen wollte, hatte ich das Gefühl, er ahnte diese Kombination, bevor ich sie auch nur geplant hatte, so schnell war er aus meiner Reichweite verschwunden.
    Nach sechs für mich sehr erschöpfenden Runden kam mir irgendetwas an ihm seltsam vor, doch was es war, begriff ich erst, als er im Umkleideraum neben mir stand: Während dem Rest von uns die Schweißtropfen von Stirn und Nase liefen und wir Flecken unter den T-Shirt-Ärmeln und auf Brust und Rücken hatten, waren Kleidung und Körper des Mannes vollkommen trocken. Er roch auch nicht

Weitere Kostenlose Bücher