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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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legte den Umhang wieder an.
    Sie fühlte sich gleich besser.
    Die Frau reichte ihr ein Paar abgetragene und viel zu große Holzschuhe.
    Aliena sagte: »Darin kann ich nicht reiten.«
    Die Frau lachte rau: »Ihr werdet nicht reiten.«
    »Wieso nicht?«
    »Er hat Euch die Pferde genommen.«
    Aliena war zutiefst getroffen. Wie ungerecht: Ihre Pechsträhne wollte einfach nicht abreißen: »Wo hat er sie hingebracht?«
    »So was erzählt er mir nicht, aber er wird wohl auf dem Weg nach Shiring sein. Dort wird er die Tiere verkaufen und sich erkundigen, wer Ihr seid und ob aus Euch noch mehr herauszuschlagen ist als der Preis Eures Pferdefleisches.«
    »Und warum lässt du uns dann gehen?«
    Die Frau musterte Aliena von oben bis unten. »Weil es mir nicht gefiel, wie er Euch ansah, als Ihr ihm sagtet, dass Ihr nackt unter dem Umhang seid. Wahrscheinlich versteht Ihr das erst, wenn Ihr eine verheiratete Frau seid.«
    Aliena verstand es durchaus, doch sie verlor kein Wort darüber.
    Richard sagte: »Wird er dich denn nicht umbringen, wenn er herausfindet, dass du uns freigelassen hast?«
    Sie lächelte zynisch. »Er jagt mir nicht annähernd so viel Angst ein wie anderen. Aber jetzt fort mit Euch.«
    Sie verließen den Schuppen. Aliena begriff, dass diese Frau hatte lernen müssen, mit einem brutalen und herzlosen Mann auszukommen. Dennoch hatte sie sich ein Mindestmaß an Anstand und Mitgefühl bewahrt. »Ich danke dir für das Kleid«, sagte sie unbeholfen.
    Der Frau lag nichts an ihrem Dank. Sie wies auf einen Pfad und sagte: »Nach Winchester geht’s hier lang.«
    Die Geschwister schritten von dannen, ohne noch einmal zurückzublicken.
    Aliena hatte noch nie Holzschuhe getragen – Menschen ihres Standes trugen nur Lederstiefel oder Sandalen – und fand sie klobig und unbequem. Auf dem kalten Boden waren sie allerdings besser als nichts.
    Erst außer Sichtweite des Hauses fragte Richard: »Allie, warum geschehen uns nur so schreckliche Dinge?«
    Die Frage machte Aliena ganz niedergeschlagen. Kein Mensch war gut zu ihnen. Kein Mensch scherte sich darum, wenn sie wie Vieh geprügelt und ausgeraubt wurden. Niemand nahm sie in Schutz. Wir sind zu vertrauensselig gewesen, dachte sie. Drei Monate lang hatten sie auf der Burg gelebt, ohne je die Türen zu verschließen. Aliena nahm sich vor, von nun an niemandem mehr über den Weg zu trauen. Nie wieder würde sie jemandem erlauben, die Zügel ihres Pferdes zu ergreifen, und wenn sie noch so grob und unhöflich werden musste. Nie wieder würde sie jemandem den Rücken zukehren – wie dem Jagdpfleger, der sie in den Schuppen gestoßen hatte. Nie wieder wollte sie die Gastfreundschaft eines Fremden annehmen, nie ihre Tür nachts unverschlossen lassen, sich nie wieder durch Freundlichkeit hinters Licht führen lassen.
    »Lass uns schneller gehen«, sagte sie zu Richard. »Vielleicht können wir Winchester noch vor Anbruch der Dunkelheit erreichen.«
    Sie folgten dem Pfad bis zu der Lichtung, auf der sie dem Forstaufseher begegnet waren, und fanden die Stelle, wo sie Feuer gemacht hatten. Von hier aus war die Straße nach Winchester leicht zu finden; sie waren mehrmals dort gewesen und kannten den Weg. Sobald sie den Weg erreicht hatten, kamen sie schneller voran. Der nach dem Sturm vor zwei Tagen einsetzende Frost hatte den lehmigen Boden bretthart gefroren.
    Richards Gesicht nahm allmählich wieder normale Züge an. Tags zuvor hatte er sich an einem Bach im Wald mit kaltem Wasser gewaschen, sodass die Blutkrusten weitgehend verschwunden waren. Auf der Wunde an seinem rechten Ohrläppchen hatte sich hässlicher Schorf gebildet. Seine Lippen waren noch immer geschwollen, aber sein Gesicht war nicht mehr so aufgedunsen. Er hatte noch jede Menge blauer Flecken, deren schillernde Farben ihm einen ziemlich furchterregenden Ausdruck verliehen, aber das konnte nichts schaden.
    Aliena vermisste die Wärme des Pferdeleibes. Zwar war ihr bei dem anstrengenden Marsch warm geworden, doch Hände und Füße schmerzten vor Kälte. Den ganzen Vormittag über herrschte eisiger Frost, der sich erst gegen Mittag ein wenig milderte. Inzwischen war sie hungrig geworden. Ihr fiel ein, dass sie erst gestern noch geglaubt hatte, es sei ihr völlig gleichgültig, ob sie je wieder ein warmes Dach über dem Kopf oder satt zu essen haben würde. Aber an gestern wollte sie nicht mehr denken.
    Jedes Mal, wenn sie das Trappeln von Pferdehufen vernahmen oder Leute auch nur von ferne sahen, stahlen sie sich

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