Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
Hintern.«
Philip ging in die Hocke und streckte seine Hände nach Jonathan aus. »Komm zu mir«, sagte er. »Na, komm!«
Jonathan grinste und entblößte seine ersten Zähnchen. Dann deutete er mit dem Finger auf Philip, ließ unvermittelt das Seil los und überwand die kurze Strecke in einem plötzlichen Anfall von Kühnheit mit drei raschen, entschlossenen Schritten.
Philip fing ihn in seinen Armen auf und rief: »Bravo!« Er drückte den Kleinen an sich und war auf dessen Leistung so stolz, als wäre es seine eigene gewesen.
Auch Johnny war ganz aus dem Häuschen. »Er läuft! Er läuft!«, jubelte er.
Jonathan strampelte und wollte wieder auf den Boden. Philip stellte ihn auf seine Beine, um zu sehen, ob es noch einmal klappte. Aber Jonathan befand, er habe für heute genug geleistet. Er ließ sich sogleich auf die Knie fallen und krabbelte zu Johnny hinüber.
Philip konnte sich noch gut daran erinnern, wie empört einige Mönche gewesen waren, als er Johnny und den Kleinen nach Kingsbridge geholt hatte. Mit Johnny war jedoch leicht auszukommen, solange man nicht vergaß, dass er im Grunde genommen ein Kind im Körper eines Mannes war, und Jonathan hatte allein mit seinem Charme jeden Widerstand gebrochen.
Jonathan war allerdings nicht der einzige Stein des Anstoßes während des ersten Jahres geblieben. Die Mönche, die für Philip gestimmt hatten, weil sie sich von ihm eine spürbare Verbesserung der Versorgung erwarteten, fühlten sich an der Nase herumgeführt, als er, um die laufenden Ausgaben der Priorei einzuschränken, einschneidende Sparmaßnahmen ankündigte. Philip empfand dies als Kränkung: Seiner Meinung nach hatte er nie einen Zweifel daran gelassen, dass die neue Kathedrale Vorrang hatte. Die Klosteroffizialen hatten sich darüber hinaus gegen seinen Plan, ihnen ihre finanzielle Unabhängigkeit zu nehmen, gesträubt, obwohl sie ganz genau wussten, dass die Priorei ohne Reformen dem sicheren Ruin entgegenging. Als Philip schließlich Geld für die Vergrößerung der klösterlichen Schafherden ausgab, wäre es um ein Haar zu einer Meuterei gekommen. Doch Mönche waren im Grunde folgsame, gefügige Menschen, und Bischof Waleran, der sich vielleicht auf die Seite der Rebellen geschlagen hätte, war fast das ganze Jahr über unterwegs auf Romreise. Den Mönchen blieb schließlich nichts anderes übrig, als sich aufs Murren und Klagen zu beschränken.
Philip hatte manch einen Entschluss in Einsamkeit getroffen und bisweilen darunter gelitten, aber er war sicher, dass die Ergebnisse ihn entschädigen würden. Seine Maßnahmen trugen erfreulicherweise inzwischen bereits erste Früchte. Die Wollpreise waren wieder gestiegen, und Philip hatte rechtzeitig mit der Schur beginnen lassen: Nur deshalb konnte er es sich auch leisten, Forstarbeiter und Steinbrecher anzustellen. Je schneller sich die finanzielle Lage besserte, desto rascher festigte sich auch seine Stellung als Prior.
Er tätschelte Johnny Eightpence liebevoll den Kopf und setzte die Inspektion der Baustelle fort. Tom und Alfred hatten mit der Unterstützung von Priorbediensteten und einigen jüngeren Mönchen bereits mit dem Ausheben der Fundamente begonnen. Die Grube war jedoch erst fünf bis sechs Fuß tief. Tom hatte Philip erklärt, dass die Fundamente an manchen Stellen bis zu fünfundzwanzig Fuß tief im Boden verankert werden müssten. Dazu waren eine beträchtliche Zahl von Arbeitern und eine Hebevorrichtung erforderlich.
Die neue Kirche würde größer als die alte, für eine Kathedrale aber immer noch recht klein sein. Eine Stimme in Philip wünschte sich die längste, höchste, prächtigste und schönste Kathedrale im gesamten Königreich. Der Prior unterdrückte diesen Wunsch und rief sich zur Ordnung. Sei dankbar dafür, dass du überhaupt wieder eine Kirche bekommst, schalt er sich – ganz egal, wie sie ausfällt!
Er betrat Toms Arbeitsschuppen und betrachtete die Holzarbeiten auf der Werkbank. Der Baumeister hatte fast den gesamten Winter hier verbracht und mit einer eisernen Messlatte und einer Garnitur scharfer Meißel sogenannte Schablonen angefertigt – hölzerne Modelle, an die sich die Steinmetzen beim Zurechtschneiden der Steine halten mussten. Voller Bewunderung hatte Philip gesehen, wie dieser große Mann das Holz mit seinen Riesenhänden präzise und gewissenhaft zu tadellosen Bogen, Kanten und genauen Winkeln zurechtgeschnitzt hatte. Er griff sich eine der Schablonen und sah sie sich näher an. Sie war wie
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