Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
Alfred.
Jack begriff, dass er die Sache falsch angepackt hatte. Ihm war schließlich nicht an einer Auseinandersetzung gelegen. Sein Vorschlag musste Alfred – vorausgesetzt, es gelang ihm, den Stiefbruder zur Einsicht zu bringen – ebenso recht kommen wie ihm selbst. »Alfred, sie liebt dich nicht«, sagte er so behutsam wie irgend möglich.
»Du hast doch keinen blassen Schimmer, Bürschchen.«
»Doch«, beharrte Jack. »Sie liebt dich nicht. Sie heiratet dich nur um Richards willen. Er ist der Einzige, den diese Hochzeit glücklich machen wird.«
»Scher dich in dein Kloster zurück«, meinte Alfred verächtlich. »Wo hast du überhaupt deine Kutte gelassen?«
Jack holte tief Luft. Nun blieb ihm nichts anderes mehr übrig, als die Wahrheit zu sagen. »Alfred, sie liebt mich. «
Jack hatte mit einem Wutausbruch gerechnet, doch Alfred begnügte sich mit einem verschlagenen Grinsen. Jack kam sich vor wie der Ochs am Berge. Was sollte das denn? Allmählich dämmerte es ihm. »Du wusstest es die ganze Zeit!«, sagte er ungläubig. »Du weißt, dass sie mich liebt, aber das ist dir vollkommen egal! Du willst sie auf jeden Fall, ob sie dich liebt oder nicht. Du willst sie ganz einfach besitzen.«
Alfreds verstecktes Grinsen wurde breiter und noch eine Spur hämischer, und Jack erkannte, dass er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte; aber damit war es nicht getan: Alfreds Gesicht verriet noch mehr. Ein unerhörter Verdacht beschlich Jack. »Warum willst du sie überhaupt haben?«, wollte er wissen. »Etwa, weil … Ist es möglich, dass du sie nur heiraten willst, um sie mir wegzunehmen?« Seine Stimme hob sich im Zorn. »Dass du sie aus Gehässigkeit heiratest?« Die unverhohlene Genugtuung in Alfreds stupider Visage sprach Bände, und Jack wusste, dass er auch diesmal richtig lag. Das war ja verheerend! Die Vorstellung, dass Alfreds Beweggrund nicht einmal einer nur allzu verständlichen Begierde entsprang, sondern simpelster, reinster Bosheit – das überstieg sein Fassungsvermögen. »Du verfluchter Kerl – sieh bloß zu, dass du sie anständig behandelst!«, brüllte er.
Alfred lachte.
Die bodenlose Gemeinheit, die darin zutage trat, traf Jack wie ein Faustschlag. Der Kerl hatte gar nicht die Absicht, Aliena gut zu behandeln! Dies sollte seine letzte Rache an Jack werden: Aliena zu heiraten und ihr das Leben zu vergällen. »Du Dreckstück«, sagte Jack grimmig. »Du Misthaufen. Du Scheißkerl. Du hässliches, dummes, gemeines, abscheuliches Ekel, du!»
Diese unverhohlenen Schmähungen endlich verstand selbst der begriffsstutzige Alfred. Er ließ sein Handtuch fallen und ging mit geballter Faust auf Jack los. Jack, längst darauf gefasst, trat einen Schritt vor, um als Erster zuzuschlagen. Doch plötzlich stand Jacks Mutter zwischen ihnen. So klein sie auch war – es bedurfte nur weniger Worte von ihr, und die Rauferei, die auszubrechen drohte, hatte auch schon ein Ende.
»Alfred! Geh baden.«
Alfred beruhigte sich schnell. Ihm war nur allzu klar, dass er es gar nicht mehr nötig hatte, Jack zu verprügeln: Er hatte so oder so den Sieg davongetragen und setzte eine selbstgefällige Miene auf, damit niemand einen Zweifel daran hegen konnte. Dann verließ er das Haus.
»Was hast du jetzt vor, Jack?«, wollte seine Mutter wissen.
Jack, der noch immer vor Wut bebte, musste mehrmals tief Luft holen, bevor er wieder sprechen konnte. Die Hochzeit war nicht mehr zu verhindern, das wusste er jetzt. Aber sollte er deswegen ohnmächtig dabei zusehen? »Ich muss fort aus Kingsbridge.«
Er bemerkte, dass ihr Gesicht sich kummervoll verzog, aber sie nickte. »Genau das habe ich befürchtet. Aber ich glaube, du hast recht.«
Die Klosterglocke läutete. Jack sagte: »Jetzt wird es nicht mehr lange dauern, bis sie meine Flucht entdecken.«
Ellen senkte die Stimme. »Dann geh geschwind, und versteck dich unten am Fluss, in Sichtweite der Brücke. Ich bringe dir ein paar Sachen.«
»In Ordnung.« Er wandte sich zum Gehen.
Martha stand zwischen ihm und der Tür, und die Tränen liefen ihr übers Gesicht. Er umarmte sie, und sie drückte ihn fest an sich. Ihr kindlicher Körper war flach und knochig wie der eines Jungen. »Komm zurück, irgendwann«, sagte sie heftig.
Er gab ihr schnell einen Kuss und ging hinaus.
Draußen waren mittlerweile viele Leute unterwegs, holten Wasser und genossen die milde Herbstluft dieses Morgens. Die meisten wussten, dass Jack Novize geworden war – die Stadt war immer
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