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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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strampelte mit Armen und Beinen und wimmerte jämmerlich. »Armes kleines Ding«, sagte sie. »Kannst einfach nicht verstehen, warum es dir so schlecht geht.«
    Aliena, die auf dem Hocker gesessen hatte, stand auf und legte sich ins Bett. Die Kerze ließ sie brennen, weil sie ihr Kind jederzeit sehen wollte. Die Nacht verbrachte sie in einem unruhigen Halbschlaf. Gegen Morgen atmete der Kleine flacher und zappelte nicht mehr. Auch das klägliche Wimmern hörte auf.
    Aliena weinte lautlos. Sie hatte Jacks Spur verloren, und ihr Kind lag im Sterben – hier, in einem Haus voller Fremder und einer Stadt fern der Heimat. Es wird keinen anderen Jack mehr geben, dachte sie, und ich werde auch nie wieder ein Kind bekommen. Vielleicht sterbe ich auch – es wäre wahrscheinlich das Beste.
    Als der Tag heraufdämmerte, blies sie die Kerze aus und sank in den Schlaf der Erschöpfung.
    Ein lauter Lärm im Erdgeschoss ließ sie hochfahren. Die Sonne war aufgegangen, und an der Flusslände vor dem Fenster herrschte ein unruhiges, geschäftiges Hin und Her. Das Kind rührte sich nicht, seine Miene war friedlich und entspannt. Kalte Furcht ergriff Alienas Herz. Sie berührte seine Brust: Der Kleine war weder warm noch kalt. Die Angst benahm ihr den Atem. Da schlug der Knabe mit einem tiefen Seufzer, der den ganzen kleinen Körper durchschüttelte, die Augen auf, und Aliena wäre vor Erleichterung fast in Ohnmacht gefallen.
    Sie nahm ihn auf und drückte ihn an sich. Der Säugling fing herzhaft an zu schreien. Er war wieder gesund, das Fieber war verflogen, die Schmerzen auch. Sie legte ihn an die Brust. Er saugte gierig und hörte diesmal erst auf, als nichts mehr kam. Und nachdem Aliena ihn umgebettet hatte, leerte er auch noch die andere Brust. Danach sank er in einen tiefen, zufriedenen Schlaf.
    Auch Alienas Krankheit war vorüber, obgleich sie sich wie ausgewrungen fühlte. Sie schlief durch bis gegen Mittag, stillte das Kind erneut und ging dann hinunter in die Gaststube, wo sie eine Mahlzeit aus Ziegenkäse, frischem Brot und ein wenig Speck zu sich nahm.
    War der Kleine am geweihten Wasser des heiligen Martin genesen? Aliena hielt das immerhin für möglich, und so begab sie sich am Nachmittag noch einmal zu seinem Grabmal, um sich zu bedanken.
    In der großen Abteikirche fiel ihr beim Anblick der Bauarbeiten wieder Jack ein, der nun doch vielleicht eines Tages sein Kind zu sehen bekommen würde. Ob er aus einem bestimmten Grunde von der herkömmlichen Strecke nach Santiago abgewichen war? Vielleicht war er in Paris und schnitt dort Steine für eine neue Kathedrale. Ihr Blick fiel auf einen neuen Kragstein, der von den Arbeitern gerade angebracht wurde. Er war mit einer gemeißelten Männergestalt verziert, die das Gewicht des Pfeilers auf seinem Rücken zu tragen schien. Ohne den geringsten Schatten eines Zweifels erkannte Aliena, dass diese schmerzgebeugte Figur von Jack gemeißelt worden war. Er war also doch hier gewesen!
    Mit aufgeregt pochendem Herzen ging sie auf die Arbeiter zu. »Dieser Kragstein …«, sagte sie atemlos, »der stammt von einem Engländer, nicht wahr?«
    Ein alter Arbeiter mit gebrochener Nase gab ihr Antwort: »Da habt Ihr recht – Jack Fitzjack hieß der Mann. Ich habe so etwas Feines noch nie in meinem Leben gesehen.«
    »Wann war er denn hier?«, fragte Aliena und hielt den Atem an. Der Alte kratzte sich seinen Grauschädel unter der speckigen Mütze.
    »Na, das muss jetzt so ungefähr ein Jahr her sein. Aber der blieb nicht lange. Der Baumeister mochte ihn nicht.« Er senkte die Stimme. »Um die Wahrheit zu sagen: Der Jack, der war zu gut. Hat den Meister ja richtig vorgeführt. Deshalb musste er gehen.« Er legte den Zeigefinger an die Nase, um Aliena zu verstehen zu geben, dass dieser Hinweis vertraulich gemeint war.
    »Hat er Euch gesagt, wohin er von hier aus ziehen wollte?«, fragte sie aufgeregt.
    Der Alte betrachtete das Kind. »Wenn man nach der Haarfarbe geht, dann ist das seins.«
    »Ja, Ihr habt recht.«
    »Wird Jack Euch gerne wiedersehen wollen, was meint Ihr?«
    Er denkt, dass Jack mich vielleicht absichtlich sitzengelassen hat, dachte Aliena. Sie lachte. »O ja!«, sagte sie. »Er wird mich sehr gerne wiedersehen wollen!«
    Der Mann zuckte mit den Schultern. »Sei’s drum! Er sagte, er wolle nach Compostela.«
    »Ich danke Euch!«, jubelte Aliena und küsste den alten Mann zu dessen Verblüffung und Freude auf die Wange.
    Die verschiedenen Wege der Jakobspilger durch

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