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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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hier«, sagte er traurig. »Ich fürchte, es gibt keinen anderen Weg.« Noch einmal warf er einen Blick über die Lichtung, sah die kleine Gestalt auf dem Schoß des Priesters. Das Kind hatte dunkles Haar, wie Agnes. Tom hatte sich nun zwar entschieden, aber er konnte sich noch immer nicht losreißen.
    Auf der gegenüberliegenden Seite der Lichtung tauchte eine größere Gruppe von Mönchen auf, fünfzehn bis zwanzig an der Zahl. Sie trugen Äxte und Sägen bei sich. Tom und Ellen mussten jetzt mit ihrer Entdeckung rechnen und zogen sich daher tiefer ins Unterholz zurück. Das Kind verschwand aus ihrem Blickfeld.
    Sie entfernten sich, auf allen vieren kriechend. Als sie die Straße erreichten, richteten sie sich auf und rannten Hand in Hand los. Nach drei- oder vierhundert Schritten war Tom erschöpft, doch inzwischen bestand keine Gefahr mehr. Sie schlugen sich in die Büsche und fanden ein von der Straße aus nicht einsehbares Fleckchen, das zur Rast einlud.
    Das Sonnenlicht sprenkelte den grasigen Hang, auf dem sie sich niederließen. Tom sah Ellen an. Sie lag auf dem Rücken; ihr Atem ging schnell. Die Wangen waren leicht gerötet, und ihre Lippen lächelten ihn an. Der Umhang klaffte am Hals auseinander und enthüllte den Ansatz ihrer Brüste. Er begehrte, sie nackt zu sehen, und seine Begierde war weit stärker als alle Schuldgefühle. Er beugte sich über sie, um sie zu küssen, und hielt dann inne, weil allein ihr Anblick schon von verführerischer Schönheit war. Und dann sprach er – sprach, ohne seine Worte zuvor gewogen zu haben, und war daher selbst überrascht von dem, was er sagte.
    »Ellen«, sagte er. »Willst du meine Frau werden?«

Kapitel II
    Peter von Wareham war der geborene Unruhestifter.
    Die Mutterabtei in Kingsbridge hatte ihn in die kleine Zelle im Wald versetzt. Warum der Prior von Kingsbridge heilfroh gewesen war, ihn loszuwerden, war leicht einzusehen: Der hochgewachsene, etwas schlaksig wirkende Endzwanziger war ebenso intelligent wie anmaßend und hatte an allem und jedem etwas auszusetzen. Schon kurz nach seiner Ankunft hatte er sich wie ein Besessener in die Feldarbeit gestürzt und seinen Mitbrüdern vorgehalten, sie seien faul. Dann hatte er zu seiner Überraschung feststellen müssen, dass die anderen durchaus mit ihm Schritt halten konnten und die jüngeren ihn sogar noch übertrafen. Er sah ein, dass der Vorwurf der Untätigkeit ein Schlag ins Wasser gewesen war, und suchte nach einem anderen Haar in der Suppe: Sein zweiter Anklagepunkt hieß Völlerei.
    Er aß nur noch die Hälfte seiner Brotration und verzichtete auf jegliches Fleisch. Er trank tagsüber Wasser aus den Bächen, verdünnte sein Bier und rührte keinen Wein an. Er kanzelte einen jungen, gesunden Mönch ab, den es nach einer zweiten Portion Porridge verlangte. Einem anderen, der aus Jux und Tollerei das Weinglas eines Mitbruders leerte, machte Peter so heftige Vorwürfe, dass der junge Mann in Tränen ausbrach.
    Äußerlich merkt man unseren Brüdern die Völlerei jedenfalls nicht an, dachte Prior Philip auf dem Weg zum Mittagessen. Die jungen sind schlank und kräftig, die älteren sonnengebräunt und drahtig. Nicht einer unter ihnen ist von jener blässlichen, weichen Beleibtheit, die von zu üppiger Nahrung und körperlicher Untätigkeit herrührt. Eigentlich sollten alle Mönche schlank und rank sein, dachte Philip. Dicke Mitbrüder erzeugen unter den Armen des Landes nur Neid und Hass auf die Diener des Herrn.
    Bezeichnend für Peter war, dass er seine Anklage ins Gewand einer Beichte kleidete. »Ich habe mich der Sünde der Völlerei schuldig gemacht«, hatte er am Vormittag bekannt. Sie saßen auf dem Hügel, wo sie die Scheune bauten, auf frisch gefällten Baumstämmen, aßen Roggenbrot und tranken Bier. »Ich habe die Regel des heiligen Benedikt missachtet, der zufolge ein Mönch weder Fleisch essen noch Wein trinken darf.« Mit hocherhobenem Kopf ließ er seine stolzen dunklen Augen in die Runde schweifen, bis sein Blick auf Philip zu ruhen kam. Mit den Worten »Und jedermann hier im Kreise hat sich derselben Sünde schuldig gemacht«, beendete er sein Bekenntnis.
    Es ist ein Jammer, dass Peter immer wieder aus der Rolle fällt, dachte Philip. Er hat sich dem Werke Gottes verschrieben, hat einen klugen Kopf und verfügt über feste Grundsätze … Die guten Eigenschaften gingen freilich einher mit einem geradezu zwanghaften Geltungsbedürfnis, das ihn immer wieder dazu verleitete, Unfrieden zu

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