Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
ihr.
Dieser Gedanke war ihm schon den ganzen Tag über im Kopf herumgegangen. Zuerst wollte er ihn nicht wahrhaben, doch je mehr Zeit verstrich, desto deutlicher wurde die Erinnerung an jenen entsetzlichen Tag, da William die Stadt schon einmal in Brand gesetzt hatte. Am Ende war Jack überzeugt, es sei am besten, Aliena fortzuschicken.
»Ich bleibe«, erwiderte sie bestimmt.
»Ich weiß nicht, ob wir’s schaffen«, sagte er. »Und ich will dich auf keinen Fall hier haben, wenn William die Mauer überrennt.«
»Aber ich kann doch nicht einfach weglaufen, solange du hierbleibst und alle anderen sich wehren«, wandte sie ein.
Das war verständlich, aber er wollte nicht mehr verstehen. »Niemand wird’s erfahren, wenn du dich jetzt gleich davonmachst.«
»Am Ende erfahren sie’s doch.«
»Aber dann ist die Gefahr vorüber.«
»Denk doch nur, welche Schande das wäre.«
»Zum Teufel damit!«, brauste er auf. Warum fand er nicht die richtigen Worte. »Ich will dich in Sicherheit wissen!«
Seine erhobene Stimme weckte Tommy, der zu weinen begann. Aliena nahm ihn in den Arm und wiegte ihn. »Im Wald bin ich vielleicht auch nicht sicherer aufgehoben.«
»William wird ihn nicht durchsuchen. Er will nur die Stadt treffen.«
»Vielleicht will er mich am meisten treffen.«
»Du könntest dich auf deiner Lichtung verstecken. Dort kommt nie jemand hin.«
»William könnte sie durch Zufall finden.«
»Hör doch auf mich! Dort bist du bestimmt besser aufgehoben als hier. Ich weiß es.«
»Trotzdem – ich will hierbleiben.«
»Aber ich will dich nicht hier haben«, gab er schroff zurück.
»Ich bleibe auf jeden Fall«, erwiderte sie lächelnd und überhörte seine Schroffheit.
Jack unterdrückte einen Fluch. Hatte sie sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt, war sie durch nichts mehr davon abzubringen – stur wie ein Maulesel. Er verlegte sich aufs Bitten. »Aliena, mir graut vor morgen.«
»Mir auch«, gab sie zu. »Und ich meine, wir sollten unser Los gemeinsam tragen.«
Jetzt hätte er nachgeben können – aber seine Furcht war zu groß. »Dann geh doch zum Teufel!«, fauchte er wütend und stürmte aus dem Haus.
Draußen blieb er stehen und sog tief die Nachtluft ein. Allmählich beruhigte er sich. Seine Angst war nicht geringer, aber es schien ihm töricht, Aliena zu zürnen: Womöglich starben sie beide schon am kommenden Tag.
Als er zurückkam, stand sie noch an der gleichen Stelle, mit traurigem Gesicht. »Ich liebe dich«, sagte er. Sie fielen sich in die Arme und blieben lange so stehen.
Als Jack wieder ging, stand der Mond bereits hoch am Himmel. Er wusste, dass er nicht würde schlafen können. Er hegte die närrische Befürchtung, alle anderen könnten verschlafen, bis William erneut mit seinen Mannen einfiel, Tod und Verderben um sich verbreitend. Ruhelos strich Jack um die Mauern, die ihm gerade bis zur Brust reichten. Das war nicht hoch genug! Und die Palisaden wiesen Lücken auf, die hundert Mann in kürzester Frist durchbrechen konnten. Selbst die Erdwälle waren von einem guten Pferd leicht zu überspringen – es gab noch so viel zu tun!
Dort, wo die Brücke sich befunden hatte, blieb er stehen. Sie lagerte, in Teile zerlegt, im Kloster. Sein Blick glitt über das Wasser, in dem sich das Mondlicht spiegelte. Dann sah er eine Gestalt an der Palisade entlangschleichen. Schon wollten ihn abergläubische Ängste überfallen – da entpuppte sich der Schatten als Prior Philip, der ebenso wenig schlafen konnte wie Jack.
Sein schwelender Groll gegen den Prior war angesichts der Gefahr wie verflogen, und er sprach ihn an. »Wenn wir das hinter uns haben, sollten wir die Mauer Stein um Stein wieder aufbauen.«
»Ganz meine Meinung«, sagte Philip begeistert. »Wir sollten eine regelrechte Stadtmauer bauen. In einem Jahr könnten wir das bewältigen.«
»An dieser Stelle hier, wo die Brücke über den Fluss führt, sollten wir ein Tor mit Pechloch errichten. Dann können wir uns wehren, ohne die Brücke abreißen zu müssen.«
»In solchen Dingen – bei der Verteidigung einer Stadt, meine ich – sind wir Mönche nicht viel nütze.«
Jack nickte verständnisvoll; Mönche durften nicht an Gewalttaten teilhaben. »Aber wenn Ihr Euch nicht darum kümmert, wer dann?«
»Wie wär’s mit Alienas Bruder Richard?«
Im ersten Moment fand Jack den Gedanken verblüffend, doch dann sah er, wie hervorragend er war. »Das kann er, das kann er bestens! Das bewahrt ihn vor Müßiggang, und
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