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Die Saeulen der Macht

Die Saeulen der Macht

Titel: Die Saeulen der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Winter
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einzigen Augenblick sah er sein Schicksal, sah er den morgigen Tag– rote Flecken, die auf seiner Haut blühten, anschwollen und aufplatzten. Er sah sich selbst schreiend auf dem Boden einer Kerkerzelle, wie er die Wächter anflehte, ihn von seinen Qualen zu erlösen, während sich die Male durch sein Fleisch fraßen, seine Augen einsanken, ihm die Zähne ausfielen.
    Vor ihm schwebte die Kugel. Brand war mit Tahans Hand verwachsen, eine Verlängerung seines Arms. Es brauchte nur ein knappes Winken, einen beiläufigen Schlag, und die glühende Kugel flog durch den Raum, prallte gegen die gegenüberliegende Wand und schoss zurück. Der Prinz duckte sich, riss Noan mit sich, während die Priester schreiend auseinanderstoben. Wieder knirschten die gläsernen Wände. Tahan sprang in den Gang hinaus, wo die Soldaten den Weg nach draußen versperrten, die Waffen drohend erhoben.
    Â» Armbrüste « , sagte Noan. » Nach rechts! «
    Sie rannten, hinter sich das Kreischen der Priester, die tiefen Stimmen der Soldaten. Der Gang führte leicht nach oben, doch auf einmal war er zu Ende, und vor ihnen schraubte sich eine Wendeltreppe in die Höhe.
    Â» Wenn wir fliegen könnten… « , meinte Noan sehnsüchtig.
    Tahan drehte sich um. Dort kamen sie, alle. Soldaten, mit Armbrüsten, Lanzen und Schwertern bis an die Zähne bewaffnet, dazwischen die Findaliapriester. Wo auch immer sie die glühenden Kugeln hernahmen, nun hatte jeder von ihnen eine zur Verfügung. Offenbar zeigte die Göttin sich großzügig bei der Verfolgung eines Mörders und Spötters. Als Tahan an diesem Morgen aufgestanden war, hatte er nicht vorgehabt, sich mit einer Hohen Gottheit anzulegen. Jetzt konnte er nicht mehr zurück. Was würde geschehen, wenn er auch noch die Vier gegen sich aufbrachte? Welche Magie würde ihn dann schützen?
    Â» Bereit? « , fragte er leise.
    Noan nickte atemlos und fragte erst dann: » Was hast du vor? «
    Tahan fasste das Schwert mit beiden Händen. Während die Soldaten schon heranstürmten, die Kugeln schwebten, die » Harai « -Schreie durch das hohe, gläserne Treppenhaus schallten, ließ er Brand auf die Verstrebungen der Wendeltreppe niederkrachen, wieder und wieder, bis Risse entstanden, die die Wände entlangliefen, sich verästelten und schließlich in die Höhe wuchsen wie ein Baum. Glühende Kugeln schlugen neben den Flüchtenden ein, die Risse taten sich weiter auf, Flammen zuckten daran entlang. Ein Armbrustbolzen ragte aus Tahans Schulter, verwundert starrte er darauf; noch fühlte er keinen Schmerz.
    Plötzlich trat Stille ein, die Soldaten verhielten mitten in der Bewegung, die Priester standen da mit aufgerissenen Mündern.
    Ein Knacken, ein schauerliches Reißen– dann zerbrach die Treppe zu einer Lawine aus Glas. Tahan warf sich auf Noan und riss ihn zur Seite, während die Glasflut hereinbrach und die Soldaten samt der Ordensbrüder fortspülte. Durch das Rauschen und Splittern hindurch ertönte ein neues Knacken, lauter als alles, dann tat sich ein Spalt in der Wand des Turms auf.
    Tahan lachte, doch Noan zerrte ihn am Ärmel. » Komm! Es bricht alles zusammen! «
    Ja, alles würde über ihnen einstürzen, der gläserne Turm, die uralte Macht der Vier, die Macht, aus der sich die Kraft der felsgrau gewandeten Bruderschaft speiste, die Macht, die hinter Helstens Eroberungskünsten stand. Jeden Moment würden ihn das Glas und der Zorn der Vier zerschmettern.
    Â» Komm! « , schrie Noan noch einmal.
    Vor ihren Augen neigte sich die Wand. Splitter flogen, trafen Tahan, nicht einmal jetzt spürte er den Schmerz. Irgendwo weit weg kreischten die fliehenden Priester, die Soldaten, der Turm selbst, es war ein Lärm wie von tausend gequälten Dämonen.
    Eine riesige Platte kam auf sie zu. Tahans Knie knickten ein, er zog Noan mit hinunter. Die Platte, mindestens zwei Stockwerke hoch, schlingerte mit einem mahlenden Geräusch auf sie zu, krachte gegen ein noch aufrecht stehendes Stück Mauer hinter ihnen, grub sich immer tiefer ins jaulende Glas hinein. Weitere Erschütterungen warfen die beiden Männer zu Boden, als sie sich aufrichten wollten. So lagen sie da, über sich wie ein schützendes Dach die dicke Glasplatte, auf die es immer noch Splitter hagelte. Blut machte den Boden, auf dem sie lagen, glitschig. Tahan dachte nicht einmal

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