Die Säulen der Schöpfung - 13
wichtigen militärischen Ziels opfern, solange das Wetter für uns nicht günstig ist. Deshalb werden wir Aydindril im Frühling einnehmen, wenn dieser fürchterliche Winter vorüber ist. Ich denke, wir können noch rechtzeitig für dieses große Ereignis zu ihnen stoßen.«
Diese Aussicht versetzte Jennsen in helle Begeisterung – die Streitkräfte eines freien Volkes würden Lord Rahl einen gewaltigen Schlag versetzen. Aber gleichzeitig wurde ihr bewußt, daß dies den Anfang vom Ende D’Haras bedeutete; im Grunde aber bedeutete es nur das Ende einer Schreckensherrschaft.
Diese Nacht, im Schein des knisternden Feuers, erschien ihr plötzlich in mehr als einer Hinsicht bemerkenswert. Der Welt standen große Umwälzungen bevor, und sie würde daran teilhaben. Sie selbst hatte sich in dieser Nacht auch verändert.
Das Feuer wärmte eine Seite ihres Gesichts. Ihr wurde bewußt, daß sie Sebastian noch nie mit nacktem Oberkörper gesehen hatte. Der Anblick gefiel ihr.
Er faßte sie sacht bei der Schulter. »Kaiser Jagang möchte Euch gerne kennenlernen.«
»Mich? Aber ich bin doch völlig unwichtig.«
»Nicht doch, Jennsen, ich kann Euch versichern, Kaiser Jagang wird geradezu versessen darauf sein, die mutige Frau kennen zu lernen, die bereit ist, eine derart gewagte Tat für unser tapferes Volk und die Zukunft einer befreiten Menschheit zu begehen, um so der Geißel des Hauses Rahl ein Ende zu bereiten. Bruder Narev plant, für das historische Ereignis der Eroberung Aydindrils und des Palasts der Konfessoren aus der Alten Welt anzureisen, um Zeuge des großen Sieges im Namen unseres Volkes zu werden. Ich bin sicher, auch er wäre geradezu entzückt, Euch kennen zu lernen.«
»Bruder Narev …«
Jennsen dachte an die gewaltigen Umwälzungen, von denen sie bis zu diesem Augenblick nichts gewußt hatte. Jetzt auf einmal war sie Teil davon. Ein Schauder überlief sie bei dem Gedanken, daß sie Jagang den Gerechten treffen sollte – einen richtigen Kaiser – und vielleicht sogar Bruder Narev, Sebastians Worten zufolge so ziemlich der bedeutendste geistige Führer, der je gelebt hatte.
Ohne Sebastian wäre dies alles nicht möglich gewesen. Er war ein bemerkenswerter Mann – in jeder Hinsicht, angefangen bei seinen wunderbaren blauen Augen, dann seine höchst ungewöhnlichen weißen Haarstoppeln, bis hin zu seinem gewinnenden Lächeln und seinem überragenden Verstand.
»Da Ihr an der Planung des Feldzugs beteiligt wart, möchte ich Euch sagen, wie sehr es mich freut, daß Ihr vor Ort sein werdet, um den Triumph Eurer Strategie miterleben zu können. Aber ich muß gestehen, auch für mich wäre es eine große Ehre, diesem Ereignis in Gegenwart so großer und edler Männer beizuwohnen.«
Obwohl Sebastian bescheiden wie immer wirkte, glaubte sie für einen kurzen Moment so etwas wie Stolz in seinen Augen aufblitzen zu sehen; doch sogleich wurde er wieder ernst. »Aber wenn wir Kaiser Jagang gegenübertreten, dürft Ihr bei seinem Anblick nicht erschrecken.«
»Was meint Ihr?«
»Kaiser Jagang wurde vom Schöpfer mit Augen bedacht, die mehr sehen als die gewöhnlicher Menschen. Törichte Menschen fürchten sich vor seinem Aussehen. Ich wollte Euch nur vorwarnen, damit Ihr keine Angst vor einem so großen Mann habt, nur weil er sich äußerlich von anderen unterscheidet.«
»Das werde ich bestimmt nicht.«
»Dann ist es also abgemacht.«
Jennsen schmunzelte. »Ich bin mit Eurer neuen Strategie einverstanden. Wir können gleich morgen früh in die Midlands, zu Kaiser Jagang und den Schwestern des Lichts aufbrechen.«
Er schien sie kaum zu hören. Sein Blick schweifte über ihr Gesicht und ihr Haar und kehrte schließlich zu ihren Augen zurück.
»Ihr seid die schönste Frau, die mir je begegnet ist.«
Jennsen spürte, wie sein Griff fester wurde und er sie an sich zog. »Es schmeichelt mir, wenn Ihr so etwas sagt«, hörte sie sich sagen. Er war der Vertraute und Berater eines Kaisers, sie nur ein einfaches Mädchen, das in den Wäldern aufgewachsen war. Er machte Geschichte, sie lief vor ihr davon – bis jetzt.
Und doch war er auch einfach nur Sebastian, ein Mann, mit dem sie sich unterhielt, mit dem sie reiste, mit dem sie zusammen aß. Zahllose Male hatte sie ihn vor Erschöpfung gähnen und einschlafen sehen.
Unvermittelt preßte er seinen Mund auf ihre Lippen und zog sie fest in seine Arme. Es war ein überaus sinnliches Gefühl, seine Lippen auf ihrem Mund zu spüren; seine Arme hielten sie nicht
Weitere Kostenlose Bücher