Die Säulen der Schöpfung - 13
Augen der Mädchen herumzufuchteln, nur um sie kreischen zu hören. Das habe ich nie getan. Ich will Euch wirklich keine Angst einjagen. Aber ich könnte es mir nie verzeihen, wenn ich Euch einfach dort hineinspazieren ließe, so als wäre das Ganze nur ein lustiger Streich und Ihr würdet am Ende nicht wieder herauskommen. Vielleicht ist es ja nur Gerede, keine Ahnung. Angeblich ist es unmöglich, den Sumpf von der Rückseite aus zu durchqueren und mit dem Leben davonzukommen, aber wenn es sich jemand in den Kopf gesetzt hat, es zu versuchen, dann ganz sicher Ihr. Ich weiß, Ihr hattet wichtige Gründe herzukommen, deshalb erwarte ich nicht, daß Ihr tagelang herumsitzen werdet, um auf eine Einladung zu warten.«
Jennsen mußte schlucken, sie hatte einen säuerlichen Geschmack im Mund. Unsicher, was sie auf seine Worte erwidern sollte, bedankte sie sich mit einem Nicken.
Tom strich sich sein blondes Haar aus dem Gesicht. »Ich wollte Euch nur darüber aufklären, was ich weiß.« Er nahm die Futtersäcke auf und ging hinüber zu den Pferden.
Was immer es dort unten gab, gab es eben dort. Sie mußte ganz einfach hinein, das war alles – sie hatte keine Wahl.
Voller Entschlossenheit griff sie unter ihren Umhang und berührte das Heft ihres Messers. Schließlich war sie nicht irgendein Mädchen aus der Stadt, das sich nicht zu wehren wußte.
Sie war Jennsen Rahl.
Jennsen befreite sich vollends aus den Decken und kletterte, eine Speiche des Hinterrads als Tritt benutzend, von der Ladefläche des Wagens herunter. Tom kam soeben zurück, einen Wasserschlauch in der Hand.
»Möchtet Ihr einen Schluck? Es ist Wasser – ich hänge sie immer über die Kummete, damit die Pferde mit ihrer Körperwärme verhindern, daß es einfriert.«
Die Kälte hatte sie ausgetrocknet, und sie trank gierig. Sie sah Tom sich den Schweiß von der Stirn wischen, und erst in diesem Augenblick wurde ihr bewußt, wie warm es in Wirklichkeit war. Vermutlich würde kein echter, von Ungeheuern bevölkerter Sumpf, der etwas auf sich hielt, zulassen, daß er überfror.
Tom schlug das zusammengefaltete Tuch von einem Gegenstand zurück, den er in der Hand hielt. »Frühstück?«
Sie lächelte, als sie eine Fleischpastete zum Vorschein kommen sah.
»Ihr seid nicht nur anständig, sondern auch sehr aufmerksam.«
Grinsend reichte er ihr die Pastete, dann wandte er sich um. um den Pferden die Zugkette abzunehmen. »Vergeßt nicht ihr habt versprochen, Lord Rahl etwas auszurichten«, rief er ihr über die Schulter zu.
Um nicht in ein Gespräch verwickelt zu werden, das mit ihrem Häscher zu tun hatte, lenkte sie vom Thema ab. »Ihr werdet also genau hier warten? Wenn ich zurückkomme, meine ich? Damit wir gleich wieder zurückfahren können?«
Er blickte hinter sich, während er den Leistengurt über das Hinterteil des Pferdes streifte. »Ihr habt mein Wort darauf, Jennsen. Ich werde Euch hier bestimmt nicht im Stich lassen.«
Seinem Gesichtsausdruck nach hatte er soeben einen Eid geleistet. Sie lächelte dankbar. »Ihr solltet Euch ein wenig ausruhen, immerhin seid Ihr die ganze Nacht gefahren.«
»Ich werd’s versuchen.«
Hungrig nahm sie noch einen Bissen von der Fleischpastete. Sie war kalt, aber köstlich und sättigend. Beim Kauen schweifte ihr Blick hinüber zu der grünen Wand jenseits der Wiese, in die Dunkelheit, die sich dahinter verbarg, anschließend warf sie einen abschätzenden Blick in den eisengrauen Himmel.
»Habt Ihr eine Ahnung, wie spät es ist?«
»Die Sonne ist vor ungefähr einer Stunde aufgegangen«, meinte er, während er die Verbindungsglieder an den Lederriemen überprüfte. Er wies in die Richtung, aus der sie gekommen waren. »Vor dem Abstieg auf diese tiefgelegene Stelle befanden wir uns oberhalb einer Schicht aus Dunst und Nebel. Da oben schien die Sonne.«
Angesichts des schummrigen Lichts, das unter der grauen Wolkendecke herrschte, verwunderte sie diese Vorstellung. Es schien, als hätte es noch nicht einmal angefangen zu dämmern. Und es fiel schwer, sich vorzustellen, daß gar nicht weit von hier die Sonne scheinen sollte.
Nachdem sie die Fleischpastete aufgegessen und sich die Krümel von den Händen abgewischt hatte, wartete Jennsen, bis Tom den Packgurt von der breiten, muskulösen Brust eines seiner Pferde losgeschnallt hatte und sich umdrehte. Beide Tiere waren gepflegte Grauschimmel mit schwarzer Mähne und ebensolchem Schweif. Es waren die größten Pferde, die sie je gesehen hatte – bis sie
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