Die Säulen des Feuers
sie es auf das Bier«, sagte Molin und nahm einen Schluck des schalen Gesöffs.
»Ihrer«, stellte Tempus fest und verbarg das Gesicht hinter den Händen. Dann hob er den Blick. »Und es fällt niemandem auf. Roxanes Dämon schenkt das Gesöff des Einhorns aus, und keiner merkt es!«
»Ein lebender Dämon, mein Freund. Ihr wart zu lange fort. In diesem Teil der Stadt zählt nur, daß man lebt, daß man man selbst ist!«
Tempus seufzte. Er leerte den einfachen Tonkrug und rief nach einer neuen Runde. Nachdem Molin sich an das rauchige Licht gewöhnt hatte, sah er, daß die Augen des Geheimnisvollen blutunterlaufen waren und schwarze Ringe von Erschöpfung hatten.
»Auch deshalb sollte ich Euch töten.« Tempus rieb sich die Augen, daß sie noch röter wurden. »Eine schlechte Angewohnheit, habt Ihr gesagt. Es gibt da einen Magier – den Traumgott Askelon, gewissermaßen mein Schwager –, der sich beim Fest der Krieger ein wenig zuviel herausgenommen hat. Er wurde von größeren Mächten nach Meridian verbannt. Gewöhnlich muß ich mir seinetwegen keine Sorgen machen, doch dank Euch lauert er jetzt ständig in einem Winkel meines Geistes auf eine Gelegenheit, sich in meine Träume zu schleichen.«
»Er besucht die Träume aller anderen, und keiner ist deshalb schlechter dran, Geheimnisvoller.«
»Verdammt, ich will ihn nicht in meinen Träumen!« Tempus nahm dem Dämon ohne mit der Wimper zu zucken, den Krug ab und leerte ihn mit einem Zug.
»Mehr Bier? Gutes Bier für den Herrn?« erkundigte sich der Dämon. »Schnapper Jo erinnert sich an diesen Herrn, diesen Soldaten. Herrin sorgte dafür, daß Schnapper Jo sich immer erinnert – Tempus.«
Tempus' Hände legten sich um Schnapper Jos Hals; Molins um ein langes Messer mit scharfer Klinge. Doch der Dämon lächelte nur. Er straffte die Muskeln seines warzigen Halses und rülpste.
»Wo ist deine Herrin?« fragte Tempus scharf und rieb sich die Handknöcheln.
Die Kreatur zuckte die Schultern und schielte. »Weiß nicht«, gestand er. »Schnapper hat sie gesucht. Nette dunkle Dame hat Schnapper Jo gebeten, Herrin zu suchen.«
»Hat Schnapper Jo seine Herrin gefunden?« fragte nun Molin.
»Nein, nicht gefunden. Überall gesucht – auch in Hölle. Nicht gefunden. Keine Herrin! Schnapper Jo frei!«
Diese Vorstellung überwältigte Schnapper Jo. Er schlang glücklich und vor Freude zitternd die Arme, um sich und kehrte hinter die Theke zurück, ohne einen weiteren Gedanken an die beiden Männer zu verschwenden, die ihn beobachteten.
»Wenn wir ihm glauben können, ist sie also nicht tot.«
Tempus nickte. »Wenn ich einem Dämon glaubte! Fackel, ich habe mit Niko über all das geredet. Er sagt, daß er frei von ihr ist – frei, wie seit Jahren nicht mehr. Ich glaube Niko, Fackel. Von Roxane ist nichts mehr übrig außer Erinnerungen – und schlechte Angewohnheiten.«
Jetzt vergrub Molin das Gesicht in den Händen. »Niko und der Dämon: beide frei von Roxane. Danke, Geheimnisvoller – ich glaube dem Dämon. Er sagt, er hat sie in der Hölle gesucht und nicht gefunden; Ischade hat ihn in die Hölle geschickt, um Roxane dort zu suchen – und er hat sie nicht gefunden. Und ich wette, Niko hat Euch nicht nur gesagt, daß er frei von Roxane sei, sondern daß auch unsere Vorsichtsmaßnahmen unnötig wären. Ich wette, er hat Euch gesagt, daß er ganz allein auf die Sturmkinder aufpassen könne.«
»Also gut, Fackel. Wir sagen Niko, daß wir die Kugel und die Kinder wegbringen – und beobachten ihn. Wir werden sogar einen kleinen Zug aus der Stadt und an der Mauer vorbeischicken, zu einem der Landhäuser. Aber bei Enlil, Vashanka, Sturmbringer und jedem anderen Soldatengott – Ihr täuscht Euch, Fackel. Niko ist frei von ihr, sie ist nur noch ein Alptraum für ihn. Vielleicht ist immer noch etwas hinter den Sturmkindern her – oder der Kugel –, aber nicht Roxane durch Niko.«
Tempus setzte seinen Hinterhalt für die nächste Vollmondnacht an. Walegrin stieß einige ausgewählte, nicht wiederzugebende Worte aus, als die halbe Garnison abgezogen wurde, um Erde zu schaufeln, Dächer zu flicken und ein baufälliges Landhaus nördlich der Stadtmauer so herzurichten, daß es scheinbar wirklich die ›Verwundbaren‹, wie Tempus sie nannte, beherbergen könnte. Seine zunächst noch gedämpften Proteste wurden zum wütenden Wortschwall, als sich um Mittag des geplanten Tages herausstellte, daß jeglicher Vorteil, diese Scharade in der Vollmondnacht abzuziehen,
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