Die Säulen des Feuers
einem halbvollen Becher schief in der Hand auf einem niedrigen Hocker saß. Die Anwesenheit so vieler in so einem kleinen Privatgemach konnte nichts Gutes bedeuten.
Der Sog der Gefühle riß Shupansea mit sich, als sich Bilder von Gewalttätigkeit mit ihrer Erinnerung an die letzten Tage am Hof der Beysa vermischten, ehe der Clan der Burek ihre Rettung bewirkte und sie ins Exil begleitete. Nicht einmal die seidige Berührung ihrer Lieblingsschlange, die durch das Tal ihres Busens glitt, konnte sie aus ihrem faszinierten Entsetzen über Nikos geschundenen, blutbeschmierten Körper reißen. Die Tränen und Panik, die sie resolut vor ihrem eigenen Volk verborgen hatte, überwältigten sie beim Anblick dieses unbedeutenden Landbewohners.
Göttliche Mutter, flehte sie, diesmal als Gebet, während der lautlose Sog sie in lähmende Furcht riß. Hilf mir!
Der Sog wurde durch die sanfte Kraft von Mutter Bey gebrochen, die ihre sterbliche Tochter an sich zog. Shupansea spürte, wie ihr Pulsschlag fester wurde, als die Vitalität der Göttin durch ihr eigenes, giftiges Blut floß. Sie stieg durch die Wandlungen auf: Mädchen, Jungfrau, Mutter, Greisin zur Schwesternschaft und gelangte zum Selbstsein zurück. Sie blinzelte und starrte wieder durch das Gemach.
»Er lebt noch«, sagte die Göttin zu ihr, und durch sie zu den immer noch schweigenden anderen. »Die sterbliche Seele überlebt.«
Mit langen, gleitenden Schritten ging Shupansea auf Niko zu. Tempus verließ in unterdrückter Wut seinen Posten an Nikos Seite, entschlossen, sie aufzuhalten. Und zum erstenmal sah sie ihn nun klar und deutlich, diesen fast übernatürlichen Mann, der unter ihrem Blick geistig nackt war, während er stumm die Namen kümmerlicher, menschenerschaffener Götter anrief. Sie hob einen Finger der Macht, doch blieb es ihr erspart, sie einzusetzen, als eine ANDERE ihn zurückhielt.
»Die Schlangengöttin ist in ihr!« zischte Jihan und drückte Tempus' muskulösen Arm.
Die Beysa streckte die Hand aus, fing in der Wölbung ihres langen Fingernagels einen Tropfen von Nikos Blut auf und hob ihn an die Lippen. Blut war Mutter Bey heilig. Sie kostete es und nahm alles auf, was es ihr über Niko erzählte, seinen Ruheort und die unsichere Waffenruhe, die derzeit dort herrschte. Bilder der Schöpfung seines Maats, der bandaranischen Nachahmung des Paradieses, waren die unwillkommene – ja, unvorstellbare – Überraschung.
Ihr solltet euch schämen! brüllte sie, die keine anderen Gottheiten in ihrem Teil des Paradieses duldete, die Pantheons und Urgötter an, die eine plötzliche, unvollkommene Allwissenheit mit ihr teilten. DAS. Ein Geistfinger deutete auf die flammende Säule, die Janni war, und auf den ominösen Buckel darunter. Das kommt davon, wenn man Sterblichen eigene Träume gibt! Das haben sie mit ihrem freien Willen geschaffen: ein Tor für Dämonen – zu unser aller Vernichtung!
Mutter Bey sparte besondere Wut für ihren ehemaligen Liebhaber Sturmbringer auf, doch glücklicherweise blieb ihrem sterblichen Avatar diese Gegenüberstellung erspart. Die Göttin zog sich zurück und ließ Shupansea mit gerötetem Gesicht und vor gerechtem Zorn zitternd zurück.
»Wie konntet Ihr zulassen, daß es dazu kam?« fragte sie Molin heftig.
Molin zupfte sein Gewand zurecht und bemühte sich um Würde. »Ihr habt ebensoviel gewußt wie wir. Roxane übernahm Nikos Körper; ein anderer Zauberer hat die Machtkugel gestohlen. Alles übrige, die Folgen, fangen wir gerade erst zu begreifen an.«
»Ich habe mit den Augen meiner Mutter gesehen, und die Macht in diesem jungen Mann«, sie deutete mit blutbeflecktem Finger auf Niko, »hat nichts mit Hexen zu tun! Könnt ihr Toren denn den Unterschied zwischen einem Dämon und einer Hexe nicht erkennen?«
Tempus befreite sich aus Jihans Griff. Hochaufgerichtet überragte er Shupansea weit. »Wir wissen genau, womit wir es zu tun haben, Weib!« sagte er mit bedrohlich leiser Stimme.
»Und womit haben wir es zu tun?« entgegnete Shupansea. Sie hatte den Kopf zurückgelegt und funkelte ihn mit einem Blick an, dem er unmöglich standzuhalten vermochte. Ihre Schlange kroch den steifen Draht ihres Kopfputzes hoch und sie züngelte. Tempus blinzelte, und Molin antwortete an seiner Stelle.
»Roxane versprach dem Dämon die Sturmkinder. Sie vergiftete die Kinder, doch sie konnte ihre Seelen nicht, wie beabsichtigt, abliefern und wurde selbst verwundet. Wir wußten, daß sie sich irgendwo verkrochen hatte, und
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