Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund
habe.«
Der Maler schüttelte niedergeschlagen den Kopf.
»So etwas habe ich noch nie gehört! Du hast die einzigen Kleider fortgegeben, die du hattest. Deine Sprache ist übrigens schön. Wer bist du eigentlich?«
Ihr war das peinlich. »Ich bin nichts Besonderes. Das missratene Kind eines Hufschmiedes, Silje Arngrimstochter. Ich musste das Gut verlassen, weil alle meine Verwandten tot waren. Die Sprache hat andere Gründe.
»Du
bist
etwas Besonderes, möchte ich behaupten«, sagte der Maler mit den munteren, freundlichen Augen. »Du hast ein gutes Herz, und das ist selten in diesen Wolfszeiten, wo ein jeder nur an sich selbst denkt. Und dass du unter besonderem Schutz stehst, das bedeutet auch etwas Besonderes.«
Der Bader war die ganze Zeit über mit ihren Füßen beschäftigt, und zugleich kochte er etwas in einem Kessel, das streng roch. Silje wollte noch fragen, was Benedikt mit »besonderem Schutz« gemeint hatte, aus Erfahrung wusste sie jedoch, dass das keinen Zweck hatte. Den jungen Heming konnten sie beim Namen nennen, aber von ihm, der hinter allem steckte... Nicht ein Wort.
»Du nennst dich selbst missraten. Erzähl mir von deinem Leben auf dem Gutshof! Davon, was du da gemacht hast.«
Sie wandte sich mit einem verlegenen Lächeln ab.
»Ich fürchte, ich habe sie manchmal zur Verzweiflung gebracht. Allerdings habe ich lediglich getan, was sie mir aufgetragen haben – draußen auf dem Feld, drinnen im großen Haus -, aber ich war wohl etwas... Wie soll ich es sagen? Abwesend? Ich hatte so viele Tagträume. Und ich habe viel Zeit damit verbracht, unsere Hütte schön herzurichten. Und zu schmücken.«
Ein Funkeln kam in Benedikts Augen. »Hast du das gehört, Bader? Vielleicht jemand, der meine Kunst zu schätzen weiß! Davon gibt es gewiss nicht viele. Morgen, Silje, kommst du mit mir in die Kirche. Dort kannst du dir Dekormalerei ansehen!«
Sie horchte auf. »Danke, sehr gern.«
»Nicht auf diesen Füßen«, murmelte der Bader mehr zu sich selbst.
»Kann ich jetzt aufstehen?«, fragte Silje.
»Nein«, sagte der Heilkundige und tauchte den Umschlag in den Kessel, um ihn dann um ihre Füße zu wickeln. Er war so heiß, dass er sie fast verbrannte, und roch streng nach Kräutern.
»Nein, jetzt musst du damit ein paar Stunden liegen bleiben. Und ich glaube, du kannst noch etwas Schlaf vertragen, nicht wahr?«
»Ja, das glaube ich auch«, lächelte sie. »Und die Kinder?«
»Um die kümmern sich meine beiden Frauensleute«, sagte Benedikt. »Um die brauchst du dir keine Gedanken zu machen.«
Dann waren sie gegangen, und Silje war wieder eingeschlafen, im Körper warm und im Herzen ruhig.
Nun war es Abend, wie sie am Licht erkennen konnte. Sie setzte sich auf und versuchte vorsichtig, sich auf ihre Füße zu stellen. Das tat weh, aber nicht so sehr, dass sie es nicht hätte aushalten können – so wie sie es auch die letzten Tage ihrer trostlosen Wanderung ausgehalten hatte.
Gebe Gott, dass es bald vorüber sei! Gebe Gott, dass sie und die Kinder bei diesen freundlichen Menschen bleiben durften!
Und sie hatte sich noch nicht einmal richtig bei ihnen bedankt! Was mochte der große Kirchenmaler wohl von ihr denken?
Ihre Kleider waren fort. An deren Stelle lagen da eine Bluse aus grobem, ungefärbtem Stoff, ein dunkler Rock mit eng anliegendem Mieder und ein Paar Überschuhe, die groß genug für ihre bandagierten Füße waren.
Silje zog sich geschwind an und fuhr sich mit einem Hornkamm durchs Haar. Ihre Hände waren nicht verbunden, aber mit einer Salbe eingerieben, die nach Pfefferminze roch. Sie hatte das Bedürfnis, ihren ganzen Körper und den Kopf in warmes, duftendes Wasser zu tauchen – ja, sich in Reinheit zu ertränken...
Ich werde ja anspruchsvoll, dachte sie lächelnd. Man ist schnell verwöhnt. Ich, die ich gerade eben noch dankbar für jede Brotrinde war!
Die Kleider passten recht gut. Etwas weit, aber da musste sie einfach den Gürtel etwas enger schnallen. Sie war nicht imstande, sich die Haare zu flechten, die mussten so bleiben, wie sie waren. Da lag auch eine Jacke, eng geschnitten mit Puffärmeln, die nach unten schmaler zuliefen, steifem Kragen und einem ganz kurzen Schößchen in der Taille. Die Jacke zog sie jetzt nicht an. Die Kleidungsstücke mussten einmal einem Dienstmädchen gehört haben.
Humpelnd näherte sie sich der Tür. Die breiten Bodenbalken knarrten. Sogar Holzfußboden hatten sie! Von zu Hause war sie Erd- und Steinfußboden gewohnt. Silje
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