Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund
nickten zustimmend.
»Aha«, sagte Abelone kurz. »Das werden wir ja sehen.«
Das Haus war danach wie verwandelt. Abelone wollte nichts von einem Weihnachtsfest in stiller Trauer wissen. »Die Toten sind fort, sie sollen keinen Schatten der Missstimmung über Weihnachten werfen!«
Sie regierte und kommandierte die Bediensteten und vor allem Silje herum, die sie ganz offensichtlich instinktiv hasste. Dag wollte sie nicht im Haus haben, und Sol durfte sich auch nicht zeigen. Benedikt war wütend, und er fluchte und trank mehr als sonst.
Abelone hatte von allem eine klare Vorstellung. »Du weißt, mein Sohn ist der einzige Erbe dieses Hofes. Hier ist es wahrlich nötig, alles ein wenig auf Vordermann zu bringen. Er soll nicht gezwungen sein, einen Scherbenhaufen zu übernehmen!«
»Aber eins musst du wissen, Abelone, Silje und die Kinder sind meine Gäste. Solange ich lebe, wohnen sie auch hier. Und darüber gibt es nichts mehr zu diskutieren!«
Eine beklemmende Stimmung legte sich über den Hof. Niemand fühlte sich dort mehr wohl.
Am Weihnachtsmorgen spähte Silje wie so viele Male zuvor zu den Bergen hinauf. Sie sah zwischen den schneebedeckten Bäumen dünnen Rauch aufsteigen.
Sollte sie es wagen? Sie hatte so oft hingehen wollen, aber die Angst und das Gefühl, dass es sich nicht schickte, hatten sie davon abgehalten. Nun aber spürte sie, dass sie es tun musste. Etwas in ihr zwang sie dazu.
Abelone und ihre Kinder waren oben und wühlten und stöberten in den Kleidern der Verstorbenen. Silje ging hinaus in die Küche. Dort saßen »ihre Leute«, düster und mutlos.
»Kann ich einen Besuch machen?«, fragte sie rücksichtsvoll. »Da gibt es jemanden, dem ich zu Weihnachten mit etwas zu essen eine Freude machen möchte.«
Sie schauten sie erstaunt an. Es gab viele Arme, die hungerten, aber sie wussten nicht, dass Silje jemanden davon kannte.
Aber natürlich durfte sie gehen! Grete und Marie rüsteten sie mit einem mit allen guten Weihnachtsspeisen wohlgefüllten Proviantkorb aus – mit Würsten, Schinken, Fisch, Brot und Äpfeln. Eine kleine Kanne mit Benedikts Branntwein bekam sie außerdem noch dazu.
Genau da kam Abelone herein. Sie blieb jäh vor dem Tisch stehen.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte sie scharf.
»Silje will jemanden besuchen«, erklärte Grete.
Abelone begann sogleich, den Korb wieder auszupacken. »Hier wird nichts vom Hof getragen, nein! Wir haben nicht mehr, als wir selbst brauchen. Und diese Silje hat nun wahrlich nicht das Recht...«
Benedikt war reichlich betrunken, obwohl es noch früh am Tag war. Er erhob sich in all seiner schäbigen Autorität. »Wir haben mehr als genug. Silje hat die Esswaren von
uns
bekommen – und wage du ja nicht, dich meinem Willen zu widersetzen, sonst enterbe ich deinen verfressenen Lümmel noch!«
Abelone schnappte aufgebracht nach Luft. »Das kannst du nicht!«
»Oh, da werden sich wohl noch Mittel und Wege finden lassen.«
So dumm war Abelone nicht, dass sie seine Anspielungen nicht verstand. Der Blick, mit dem sie Silje bedachte, war derart hasserfüllt, dass sogar Benedikt erbleichte. Doch sie ließ ohne weitere Proteste von dem Korb ab, und dann stampfte sie wieder hinauf auf den Dachboden.
Alle wussten, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen war.
»Geh nur, Silje«, sagte der alte Maler sanft. »Nichts wird dir und den Kindern passieren, das schwöre ich.«
Sie dankte allen mit einem gerührten Lächeln und ging hinaus.
Der Tag war klar, ohne Sonne, aber mit Schnee als Lichtquelle unter hellem indigoblauem Himmel. Oben am Hang musste sie den Weg erraten, denn das eine Mal, als sie dort gewesen war, war sie ja einfach auf gut Glück umhergestreift. Der Schnee war nicht tief, er reichte ihr kaum bis zu den Knöcheln, und sie trug hohe Stiefel, oder Hosen, aus Leder. Nach einer Weile gelangte sie ganz richtig auf einen schmalen Waldweg, und von da ab ging es leichter voran.
Auf dem Weg gab es keine Spuren, aber der letzte Schnee war zwei Tage zuvor gefallen, das brauchte also gar nichts zu bedeuten.
Die Steigung war ganz steil, und nach einiger Zeit musste sie kurz stehenbleiben, um zu verschnaufen. Das Dorf lag unter ihr, die Kirche, der Lachsfluss des Knechts, Benedikts Hof – dort lief Marie über den Hof – und die anderen Höfe der Gegend...
Das Schattenland lag jetzt direkt vor ihr. Es sah von hier oben ganz anders aus.
Endlich hatte sie den richtigen Namen dieser spitzen Gipfel herausgefunden. Utgardsberge wurden
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