Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund
verblichen, mit einem ans Haus angebauten Schuppen. Der Rauch stieg noch immer aus dem Loch im Dach.
Er öffnete die Tür, Silje beugte den Kopf und trat ein. Als die Tür hinter ihnen geschlossen wurde, entstand eine eigentümliche Stimmung zwischen ihnen, die sie sich nicht erklären konnte. Wäre da nicht sein Widerwille gewesen, sie hätte es Vertrautheit oder Zusammengehörigkeit genannt. Doch davon zeigte er nichts.
Es war eine kleine Blockhütte mit einer Feuerstelle mitten im Fußboden, so eine, wie sie es auch von zu Hause her kannte. Allein bei Benedikt hatte sie bequemere Wohnverhältnisse erlebt, denn den Gutshof, auf dem ihr Vater gearbeitet hatte, konnte man nicht mitrechnen. Der gehörte einer Gesellschaftsschicht, die so himmelhoch über ihr stand, dass es wie zwei verschiedene Welten anmutete.
Hier war alles beim Alten. An den Wänden entlang standen Bänke, einfache Schränke und ein kurzes eingebautes Bett. Besonders reinlich war es hier nicht, aber er hatte es so eingerichtet, dass der Rauch sich nicht im Zimmer ausbreiten konnte, sondern sich unterm Dach sammelte und durch die Luke abzog. Durch die Luke kam auch das einzige Licht herein. Sie war mit der Fruchtblase eines Tieres bespannt und stand jetzt einen Spaltbreit offen. Unter dem Dach verlief quer durch den Raum eine Stange, von der an einer Kette ein Kessel herabhing.
Silje hielt ihre frierenden Hände über das Feuer und schaute ihn nicht an. Nach kurzem Zögern nahm er ihr den Samtumhang ab und hängte ihn zum Trocknen auf, der untere Saum hing voller Schnee.
»Deine Stiefel?«
»Sind dicht. Ich glaube, ich behalte sie an.«
Sie sprach mit leiser, unsicherer Stimme und hatte die ganze Zeit über Angst vor seinem
Zorn.
Er nickte und bat sie, auf der breitesten Bank Platz zu nehmen, die mit Schafspelzen bedeckt war. Er selbst setzte sich auf eine Bank auf der anderen Seite der Feuerstätte.
»Wollt Ihr nichts aus dem Korb haben?«, fragte sie.
Seine Stimme war noch immer grimmig. »Ja, danke. Gleich. Zuerst aber will ich mit dir reden.«
Er setzte einen Kessel mit Wasser auf, damit sie etwas Warmes zu sich nehmen konnte. Silje war verwundert über die seltsame Atmosphäre im Raum. Oder... Vielleicht war sie gar nicht so sehr verwundert? Sie wusste ja, dass die meiste Ursache dazu von ihr selbst ausging.
»Wenn ich mich recht erinnere, hatte ich dich gebeten, du zu mir zu sagen«, sagte er, während er sich setzte.
Sie senkte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass ich das kann. Das wäre vermessen von mir. Außerdem möchte ich das nicht.«
»Du möchtest also lieber Abstand wahren?«
»Diesen Abstand kann wohl kaum ein kleines Wort überbrücken.«
Ohne aufzusehen, spürte sie seinen erstaunten Blick.
Dann sagte er plötzlich: »Was glaubst du von mir, Silje? Glaubst du, dass ich... Tengel der Böse bin?«
Sie blickte ihn durch die Flammen prüfend an. Er lehnte mit dem Rücken an der Wand und hatte die Arme um die angezogenen Knie gelegt. Sein Gesicht sah bei der flackernden Beleuchtung sehr dämonisch aus.
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, sagte sie nachdenklich. »Das erscheint zu grotesk. Und Ihr seid so...
warm
! Aber Ihr habt gewiss viel an Euch, was ich nicht verstehe, Herr.«
Er lächelte bitter. »Das kann ich mir lebhaft vorstellen. Bist du in der Lage, dir meine Geschichte anzuhören? Die Geschichte vom Eisvolk?«
»Deshalb bin ich hergekommen«, sagte sie kindlich ernst. »Ja, und dann dachte ich mir, dass Ihr vielleicht Hunger habt.«
»Ein Geist hat keinen Hunger. Also hast du nicht geglaubt, ich sei der böse Tengel.«
»Nein, nein, das tue ich nicht.«
»Das bin ich auch nicht«, sagte er entschieden. »Oh, wie können Menschen nur an so etwas glauben?«
Sie rutschte auf der Bank weiter vor und zog ihr Kleid fester um sich, eine Bewegung, die ihn plötzlich wegsehen ließ. »Wisst Ihr«, sagte sie zögernd, doch dann war sie wieder verunsichert. »Nein, es ist nichts.«
»Doch«, sagte er streng. »Fang nichts an, ohne es zu Ende zu bringen.«
Für einen Augenblick durchströmten sie ungezügelte Gedanken aus ihrem letzten Traum. Was, wenn sie nun versuchte, seinen Zorn zu mildern, indem sie sich in ihrer Verzweiflung auszog – so wie sie es vor den bedrohlichen Männern in ihrem Albtraum getan hatte... Was würde er da sagen? Sie kopfüber in den Schnee hinauswerfen wahrscheinlich, in tiefer Verachtung und Abscheu. Denn Träume waren je lediglich die Resultate der eigenen Wünsche.
Welch eine
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