Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund
wohin – und wie? Damit hätte sie es also geschafft, dieses verfluchte Weibsbild!«
Er wandte sich an den Knecht. »Du musst sofort gehen, damit sie keinen Verdacht schöpft. Fahr so langsam du kannst, damit Silje und die Kinder etwas Zeit gewinnen.«
Der Knecht nickte und ging zur Tür. Silje lief ihm nach und umarmte ihn. Dem ruppigen Knecht traten tatsächlich Tränen in die Augen. Dann verabschiedete er sich auch von den Kindern.
»Ihr müsst fort sein, wenn ich wieder zurück bin. Ihr müsst!«
Sobald der Wagen den Hof verlassen hatte, kam fieberhafte Geschäftigkeit auf. Alles, was Silje und die Kinder besaßen, wurde zu zwei Bündeln zusammengepackt, und die anderen gaben ihr an Kleidern, was sie entbehren konnten. Benedikt kam mit einem bleigefassten Mosaikfenster, das er selbst hergestellt hatte es konnte unmöglich mitgenommen werden, doch Silje konnte ihren Blick nicht davon losreißen. Heimlich gab er ihr auch ein Buch mit unbeschriebenen Seiten, das er selbst gebunden hatte. Es sei ein Skizzenbuch, sagte er. Falls sie einmal Lust zum Zeichnen bekommen sollte. Eine schöne Feder und zwei Kohlestifte bekam sie außerdem noch. Silje versuchte sich zu bedanken, doch beide waren gleichermaßen gerührt, sodass daraus eine tränenreiche Umarmung wurde.
Die alten Schwestern weinten, und beim Packen umarmten sie die Kinder mehrmals. Sol heulte zur Gesellschaft mit, jedoch ohne zu begreifen, warum.
»Nein, aber das kann Silje doch nicht alles mitschleppen«, sagte Benedikt erschrocken, als sie gepackt hatten.
Alle sammelten sich um ihn und schauten sich um. Silje schlug die Hände vor den Mund.
»Wenn nicht alles so schrecklich wäre, wäre es zum Lachen«, sagte sie mit einem verzweifelten Blick auf den eindrucksvollen Haufen.
Crete und Marie begannen zu kichern und brachen dann wieder in Tränen aus. Niemand ertrug den Gedanken, dass sie nun gehen musste.
»Aber wohin willst du denn, meine Kleine?«, jammerte Grete.
Silje zögerte. »Tengel war Weihnachten hier. Ihn habe ich mit dem Essen besucht. Ich will nicht sagen, wo, denn wenn ihr verhört werdet, könnte dieses Wissen gefährlich für euch werden. Aber ich glaube, er hat die Gegend verlassen. Ich habe dort lange keine Lebenszeichen gesehen.«
Der Gedanke war unerträglich.
»Aber können du und die Kinder dort nicht allein Schutz finden?«
Sie sah hinaus. »Daran habe ich auch schon gedacht. Aber ich habe Angst, dass sie uns dort in Kürze aufspüren werden.«
»Ja, da hast du Recht. Gott, was sollen wir nur tun? Euch im Stall verstecken?«
In dem Moment zuckten alle zusammen. In raschem Trab kam ein Pferd auf den Hof.
»Sind sie denn schon hier?«, schrie Marie erschrocken. »Oh, versteckt euch, versteckt euch!«
»Nein«, sagte Benedikt erleichtert. »Das sind sie nicht.«
Tengel sprang vom Pferd und kam ihnen entgegen, als sie hinausstürzten. Die alten Frauen vergaßen ganz ihre Angst vor dem Eisvolk.
»Was geht hier vor?«, fragte er.
»Hast du es gespürt?«, fragte Silje erschrocken, zugleich jedoch unendlich erleichtert.
Er grinste. »Es war noch deutlicher als damals. Ich war gerade auf dem Weg über die Bergkette, um südwärts zu ziehen. Ich blieb da oben kurz stehen und überlegte, ob ich vorbeikommen sollte oder nicht. Ich wollte mich gern noch einmal verabschieden, aber ich war nicht sicher, ob das richtig wäre. Und dann entdeckte ich den Aufruhr hier unten auf dem Hof, und da entschied ich mich, mir das einmal näher anzusehen.«
Benedikt erklärte schnell, was geschehen war.
»Dich schickt der Himmel«, schloss er und vergaß, dass der gefürchtete Gast vielleicht an einem ganz anderen Ort verkehrte.
Tengel war sehr bleich geworden. Sein Blick glitt über die verweinten Gesichter und hielt bei Silje inne.
»Danke, lieber Gott, dass ich trotzdem hergekommen bin!«
Marie zuckte zusammen und bekreuzigte sich.
Tengel sah es und verlor die Fassung. »Ist es einem Geächteten nicht einmal gestattet, den Namen Gottes in den Mund zu nehmen? Wollt ihr mich unbedingt in die große Finsternis hinabstürzen? Was wisst ihr von meiner Seele? Dass ich keine habe? Ist es das, was ihr glaubt?«
Marie und Grete senkten schuldbewusst die Köpfe.
Tengel nahm sich zusammen und wandte sich an Benedikt. »Auf mich wartet südlich im Tal ein Pferdefuhrwerk. Wenn wir nur dort hinkommen... Aber mich, Silje, die beiden Kinder und das Gepäck – das schafft das Pferd nicht.«
»Abelone hat den einzigen brauchbaren Wagen genommen,
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