Die Saga vom Eisvolk 02 - Hexenjagd
jetzt ist alles dahin.«
»Schhht«, tröstete Tengel sie. »Hast du nicht gesehen, was das Pferd unter dem Sattel hat? Eine der großen Wolldecken, die du gewebt hast. Ich wollte mich davon auch nicht trennen, weißt du.«
Siljes Gesicht leuchtete auf, und sie umarmte ihn fest.
Schließlich schlief sie in seinem Schoß ein. Aber er selbst hielt sich wach, voller Todesangst, daß sie von einem Raubtier überrascht werden könnten. Hier gab es Wölfe und Bären, Vielfraße und Luchse, und davon fürchtete er den Bären am meisten. Außerdem hatte er sich den Fuß verletzt, als er in der Dunkelheit von einem scharfen Stein abgerutscht war, und nun hatte er Schwierigkeiten beim Gehen.
Er war voller Sorge um die Zukunft. Und nun war noch eine Sorge hinzugekommen.
Obwohl Sorge ein viel zu schwaches Wort dafür war.
Tengel blickte hinunter auf seine junge Frau. Ihr konnte er keinen Vorwurf machen, er selbst trug die meiste Schuld, aber er geriet in ihrer Umarmung so leicht in Ekstase, daß er seine Verantwortung vergaß.
Sie durfte auf keinen Fall weitere Kinder bekommen.
Aber diesmal war es ihr gelungen, ihn zu überlisten.
Er tastete mit einer Hand ihren Leib ab. Ja, man konnte es tatsächlich fühlen! Sie mußte schon ziemlich weit sein.
Und er hatte nicht das geringste gemerkt!
Silje verlieren? Die Angst jagte ihm einen kalten Schauer über den Rücken. Sie würde wahrscheinlich nicht noch eine schwere Geburt überleben.
Was sollte er tun?
Eigentlich gab es nur eine einzige richtige Antwort: Er mußte es wegmachen.
Aber hatte er das Herz dazu? Würde er dann nicht auch ihre Liebe verlieren?
Tengel war tief bekümmert. Er wußte nicht, wo Eldrid war, denn der Ort, den sie genannt hatte, war ihm unbekannt. Er lag sicherlich im Osten von Trondelag.
Und sie konnten sich nicht an ihre Rockzipfel hängen und auch noch die Zukunft von Eldrid und ihrem Mann aufs Spiel setzen.
Er hatte keine Kraft mehr, noch weiter zu denken. Er schlug seinen Umhang sorgsam um Silje und lehnte sich resigniert gegen den Birkenstamm in seinem Rücken.
Sie brauchten zwei Nächte und den Tag dazwischen, um bewohntes Gebiet zu erreichen. Am Ende waren sie alle so erschöpft, daß keiner von ihnen noch sicher auf den Beinen stand. Nicht einmal das Pferd.
Und jetzt gingen sie am Waldrand von Benedikts Siedlung entlang. Sie wagten sich nicht auf den Weg hinaus, sie mußten sich versteckt halten. Tengels Fuß schmerzte, das Pferd lahmte auf mindestens drei Beinen, und die Kinder klagten darüber, daß sie müde und erschöpft und hungrig waren.
Plötzlich rief Silje aus: »Seht! Dort am Fluß! Ist das nicht Benedikts Knecht, der dort Lachs fischt?«
Tatsächlich, er war es! Sie eilten zu ihm.
Der alte Mann war tief bewegt, sie wiederzusehen. Er wunderte sich mächtig, wie groß die älteren Kinder geworden waren, gratulierte zu der Kleinsten und war enttäuscht, daß Sol ihn nicht wiedererkannte. Aber das war wohl nicht zu erwarten, sie war damals erst zwei Jahre alt gewesen.
»Wie steht es mit dem Hof?« fragten Tengel und Silje wie aus einem Mund.
Der Knecht wurde ernst. »Ach, es ist schlimm. Sehr schlimm!«
»Leben sie nicht mehr?« fragte Silje ängstlich.
»Doch. Doch, sie leben alle noch. Aber ich arbeite nicht mehr dort. Ich habe aufgehört, als ihr fortgereist seid, weil ich Abelone, das alte Weib, nicht mehr ertragen habe, und dann habe ich Arbeit auf einem anderen Hof gefunden. Ich habe gehört, daß sie inzwischen große Schwierigkeiten haben, das Gesinde in Benedikts Haus zu halten.«
»Doch, jetzt weiß ich!« johlte Sol begeistert. »Du hast mich immer gekitzelt!«
Ein glückliches Lächeln erstrahlte auf dem Gesicht des Alten. »Soso, jetzt erinnerst du dich an mich, du Schlingel! Na warte, ich werde dich …«
Sol sprang aufquiekend davon - genau wie in alten Tagen.
»Also ist Abelone immer noch da?« brach es aus Tengel heraus.
Der Knecht unterbrach das wilde Spiel. »Oh ja. Und ihre abscheulichen Kinder auch. Aber Grete und Marie wurden hinausgeworfen, sie müssen sich jetzt als Bettelmägde in der Siedlung verdingen. Sie werden von Gehöft zu Gehöft weitergereicht und sehr schlecht behandelt.«
»Oh, wie furchtbar!« jammerte Silje. »Die lieben, kleinen Damen. Das ist nicht zu fassen! Und Herr Benedikt?«
»Ach, der gute Mann! Er sitzt im Gefängnis.«
»Was?«
»Das passierte erst neulich. Er hatte es nicht sehr gut unter Abelones Kommando, soviel steht fest, aber er hielt ihr mehr oder weniger
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