Die Saga vom Eisvolk 02 - Hexenjagd
in Braun und Gold kam durch eine Tür in die Halle. Das ist sie, dachte Silje. Das ist sie, hier bin ich richtig.
Die Frau betrachtete Silje mit abweisender Verwunderung. Direkt hinter ihr folgte eine ältere Frau mit blendend weißem Kragen und einer ärmellosen Brokatjacke über dem Kleid. Sie war mager und hatte strenge, intelligente Augen. Das mußte die Mutter sein.
Silje knickste tief vor den beiden.
Charlotte von Meiden blickte forschend auf die junge Frau an der Tür. Sie sah ein weiches, anziehendes Gesicht, umrahmt von braunen Locken, mit zwei reinen blauen Augen, die vor Müdigkeit und Angst verschleiert waren. Die Frau war in einen entsetzlich schmutzigen, verschlissenen Umhang aus blauem Samt gekleidet.
Auf eine merkwürdige Weise kam sie ihr bekannt vor…
»Was wünscht Ihr?« sagte Charlotte kalt.
Sie ist Dänin! dachte Silje überrascht beim Klang ihrer Worte. Natürlich, das hätte ich mir denken können.
Norwegen hatte kaum noch eigene Adlige. Also war der kleine Dag ein junger Däne!
Aber die Frau dort hat viel gelitten, dachte sie weiter.
Jeder einzelne Zug in ihrem Gesicht ist davon geprägt.
Sie ist vergrämt, ohne Hoffnung…
»Meine Name ist Silje Arngrimstochter, ich bin eine verheiratete Frau vom Lande. Falls es möglich ist, bitte ich um ein Gespräch mit dem Gnädigen Fräulein. Unter vier Augen.«
Die Frau war kultiviert, konstatierte Charlotte.
Ihre Mutter warf dazwischen: »Falls es sich um Bettelei handelt, seid so freundlich, den Kücheneingang zu benutzen!«
Silje schüttelte den Kopf. Das hier war schwierig. Aber eine funkelnde Würde, die den beiden Adelsdamen imponierte, lag in ihren Augen, als sie sagte:
»Mein Auftrag erfordert es, mit dem Gnädigen Fräulein allein sprechen zu dürfen. Die Sache ist streng vertraulich.«
Was meint sie damit? dachte Charlotte.
»Bringt Ihr eine Nachricht?«
Silje antwortete nicht. Blickte ihr nur ruhig und abwartend in die Augen. Kam sie vielleicht von einem heimlichen Verehrer? Gegen ihren Willen war Charlotte neugierig geworden.
»Nun, dann kommt mit mir«, entschied sie und wies Silje den Weg hinauf in ihr Boudoir.
Ihre Mutter, die Baronin, rief ihr nach: »Ich komme mit, Charlotte.«
Die Tochter beugte sich über das Treppengeländer.
»Nein, ich komme allein zurecht. Es ist sicher nur eine Botschaft.«
Falls sie von einem der vornehmen Herren von Austrät kam, wollte sie ihre Mutter nicht dabei haben.
Aber warum sollte es das sein? Wann hatte sie zuletzt einen Verehrer gehabt?
Sie schloß die Tür hinter ihnen, Silje sah sich in dem hohen, eleganten Zimmer mit den dunklen Eichenpaneelen an den Wänden um. Alles im Raum sprach von Reichtum. Aber Glück? Davon sagte er nichts.
»Kann uns hier jemand hören?«
»Nein.«
»Was ist, wenn jemand… an der Tür lauscht?«
»Was ist das für eine schreckliche Geheimniskrämerei!
Aber Charlotte verschloß doch die Tür zum Korridor und führte Silje in den prächtigen Schlafraum, mit einem Himmelbett, das das gesamte Zimmer auszufüllen schien.
Auch hier schloß sie die Tür.
»Seid Ihr nun zufrieden?«
Silje nickte.
»Nun, was habt Ihr mir mitzuteilen?«
Sie standen einander gegenüber, zwischen sich einen Marmortisch. Silje sagte:
»Zuerst sollt Ihr wissen, daß ich Euch nichts Böses will, Fräulein Charlotte, ganz gleich, was ich sagen werde. Ich möchte dieses alles nicht tun, aber die Not zwingt mich dazu.«
Charlotte von Meiden runzelte verächtlich die Augenbrauen. »Also doch Bettelei?« Sie ging zur Tür, um den Gast hinauszuweisen.
»Nein, nein«, sagte Silje rasch. »Ihr müßt mich anhören, es geht viel mehr um Euch als um mich.«
Charlotte kam wieder zurück. »Um mich? Was meint Ihr?«
Silje schluckte und nahm ihren Mut zusammen.
»Bevor wir mit diesem schwierigen Gespräch beginnen, muß ich Gewißheit haben. Vielleicht bin ich an die falsche Person geraten.«
Aber das glaubte sie eigentlich nicht.
Sie öffnete den Korb und legte drei Stücke Stoff auf den Tisch - den Schal, die Brokatdecke und das leinene Tuch.
»Erkennt das Gnädige Fräulein diese Sachen?«
Zunächst starrte Charlotte verständnislos darauf, als ob ihr Gehirn seinen Dienst verweigerte. Ihre Hand berührte ganz leicht den Schal, und ihre Gedanken waren wie betäubt.
Dann war ihr, als ob sich ihre Kehle zuschnürte. Sie fühlte, wie ihr das Blut zu Kopfe stieg und dann vollständig zurückströmte, und sie hörte ihre eigenen, keuchenden Laute, als sie die Hand
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