Die Saga vom Eisvolk 03 - Abgrund
Güte!«
»Dann versuchen wir es damit«, sagte Sol, auch wenn sie am Qualitätsurteil ihre Zweifel hatte.
Während die Männer den Wein eingossen, richtete sie den Jungen auf. »Ich kann nichts tun, bevor er nicht wach ist«, sagte sie. »So, wach jetzt auf, du kleiner abenteuerlustiger Bursche!«
Sie gab dem Jungen leichte Ohrfeigen, aber das war zu viel für den Vater. »Nein, nein…!« protestierte er.
»Das schadet ihm nichts«, unterbrach ihn Sol. »Seht! Nun wacht er auf.«
Der Junge blinzelte ins Licht und schlug langsam die Augen auf.
»Danke, lieber Gott!« flüsterte der Graf.
Sol war nicht ganz einverstanden damit, wem hier der Dank zu gelten hatte, doch wohlweislich schwieg sie zu diesem Thema. »Her mit dem Wein«, sagte sie, »ehe er wieder einschläft.« Alle hoben sie den kleinen Körper hoch.
Der Junge schluckte einige Male, dann verzog er das Gesicht und heulte laut los.
»Ja, ja, Papa ist hier«, versuchte der Graf, ihn zu beruhigen, während er ihn Sol abnahm. »Ja, ja, nun wird alles wieder gut.«
Der Junge schlief an der Schulter seines Vaters ein - oder fiel in Ohnmacht. Die Augen des Grafen standen voller Tränen, die er noch nicht einmal zurückzuhalten versuchte. Sie bedankten sich bei den Buchdruckern für die Hilfe und gingen schleunigst nach Hause.
»Nun gilt es, ihm so schnell wie möglich stärkende Tropfen eingeben«, sagte Sol, die neben dem Grafen halbwegs lief und ein wachsames Auge auf das verschlossene Gesicht hatte. »Erlaubt Ihr mir, ihn zu behandeln?«
»Selbstverständlich, natürlich, wenn Ihr so freundlich sein wollt! Aber sagt meiner Frau noch nichts«, bat er sie. »Falls es nicht gelingen sollte. Ich hoffe inständig, daß sie schläft.« Im Haus setzte fiebrige Geschäftigkeit ein. Bestürzte und aufgeregte Bedienstete liefen auf Sols Anordnungen hin und her. Die schmutzigen, stinkenden Kleider wurden mit einem Ruck ausgezogen, und der Junge wurde in wohliges Badewasser gelegt.
Das machte ihn endgültig wach, und Sol glückte es, ihm einen warmen Trank einzuflößen, der all die stärkenden Kräuter enthielt, die sie dabei hatte.
In vollen Zügen genoß sie all die Aufmerksamkeit, die ihr zuteil wurde, und vollzog die Prozedur noch etwas absonderlicher als sie eigentlich war, betrachtete stirnrunzelnd jede einzelne Tüte, als sei sie gerade dabei, einen ernsthaften medizinischen Ratschluß zu ziehen. Dag schaute sie an und mußte in sich hineinlächeln. Er kannte seine Stiefschwester.
Der Junge weinte schwach und wurde wieder aus dem Waschzuber genommen. Geschwinde Hände trockneten ihm mit vorgewärmten Handtüchern ab. Dann zog das Kindermädchen ihm trockene, warme Kleider an, nachdem der wunde kleine Kerl eingecremt worden war. Alle waren sehr, sehr glücklich.
»Er wird es wohl überleben?« fragte der Graf Sol. »Natürlich! Setzt ihn bloß nicht der Kälte aus, und gebt ihm weiterhin die Arznei, die ich verordne! Gebt sofort Bescheid, wenn er Fieber bekommt, und gebt ihm nach und nach mehr zu essen!
Wichtigtuerin, dachte Dag und mußte wieder lächeln. Nun trumpfst du aber ein bißchen zu viel auf! Aber was machte das schon, so stolz wie er auf sie war!
»Nun gut«, sagte der Graf und atmete erleichtert auf. »Kann jemand so freundlich sein und meine Frau wecken?« Eine ältere Frau eilte davon. Kurz darauf war ein Heulen zu hören, rasch gefolgt von flinken Schritten auf der Treppe. »Albrekt?« rief die Frau lange bevor sie unten angekommen war. »Ist es wahr? Ich kann es nicht glauben, ich kann es nicht glauben, ich kann es nicht glauben, ich…« Dann stand sie in der Tür, blaß, schwankend.
Ihr Mann hielt den kleinen erschöpften Jungen hoch. Die Gräfin schrie erneut laut auf, und Sekunden später war sie bei ihrem Mann und entriß ihm den Jungen. Sie umarmte ihn so fest, daß der Kleine wild protestierte.
Sol begriff augenblicklich, daß es sehr klug vom Grafen gewesen war, die Frau schlafen zu lassen, während sie sich um das Kind gekümmert hatten, sonst hätten sie keine Ruhe dabei gehabt. Selbst jetzt mußten sie ihr den Jungen behutsam abnehmen und sie in einen Sessel setzen, damit sie sich beruhigte.
Nach einer Weile gelang es ihr, sich soweit zu sammeln, daß sie verständlich sprechen konnte. »Wo ist er gewesen? Wo habt ihr ihn gefunden? Und wer hat ihn gefunden?«
»Die kleine Sol hier hat ihn gefunden«, sagte der Graf sanft. »Oh nein«, sagte Sol mit etwas falscher Bescheidenheit. »Ich glaube viel eher, wir alle drei
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