Die Saga vom Eisvolk 03 - Abgrund
werden.«
Die Männer betrachteten ihr strahlendes Gesicht mit den weißen Zähnen.
Der junge Mann ritt dicht neben ihr und antwortete deshalb zuerst. »Ich heiße Jörgen«, sagte er schüchtern. Als es still blieb, fuhr er fort: »Und mein Vorgesetzter heiß Jacob Skille.«
»Und ich heiße Sol. Ich bin sehr dankbar dafür, daß ich mitkommen durfte.« Der ältere der Männer schnitt eine Grimasse.
Ein prahmähnliches Schiff brachte sie über den Öresund, mitsamt den Pferden und der anderen Ladung. Sol stand an der Reling und genoß die frische Meeresluft. Im leichten Nebel konnte sie schemenhaft mitten im Sund eine Insel erkennen, wie ein Traumland. »Das ist Ven«, hatte Jörgen erklärt. Sie wandte ihren Blick nach vorn, dem Land entgegen, in dem sie endlich ihresgleichen treffen würde, Menschen, die mehr als andere wußten. Aber sie rief sich selbst in Erinnerung, daß sie schon einmal in dieser Hinsicht enttäuscht worden war, in Prebens Keller, und nun war sie nicht bereit, noch weitere Enttäuschungen hinzunehmen.
Die Hexen versammeln sich den ganzen Sommer hindurch jeden Donnerstag bei Vollmond in Brösarps Backar,
hatte Hanna gesagt. Die alte Frau hatte immer davon geträumt, einmal dorthin zu fahren.
Aber das war jetzt schon viele Jahre her. Wer wußte denn .schon, ob sie sich noch immer dort versammelten? Wer wußte denn schon, ob es in ganz Skandinavien überhaupt noch Hexen gab? Wenn Sol nun die einzige war? Wie einsam sie sich vorkam! Donnerstag bei Vollmond…? Sie war etwas zu früh dran.
Es waren noch ein paar Tage bis dahin, doch das Datum rückte näher.
Nun ja, sie war ja noch nicht dort angekommen. Kopenhagen ließ sie hinter sich. Soweit sie begriffen hatte, war ihr die Stadt für alle Zeiten verschlossen. Es sei denn natürlich, die Leute vergaßen alles. Wie dem auch sei, sie sehnte sich nicht gerade zurück nach Kopenhagen. Denn vor ihr lag das Abenteuer!
Jacob Skille stand bei den Pferden, um sie ruhig zu halten.
Der junge Jörgen stand allein vorn.
Sol ging zu ihm.
Der junge Bursche errötete sofort wie eine Mohnblume. »Was habt ihr in Glimmingehus vor?« fragte sie und sah ihm sanft in die Augen.
Sein Blick wich ihrem aus. »Wir haben Kurierpost von seiner Majestät König Christian an den Schloßherrn Rosenkrantz. Es hat Unruhen in Schweden gegeben, und Skäne ist ein gefährdeter Teil von Dänemark. Ihr wißt doch, daß die Schweden Skäne gern für sich haben wollen, daß sie es als einen natürlichen Teil Schwedens ansehen.« »Was für Unruhen?«
Es war offensichtlich, daß er bemüht war, sich in natürlichem Tonfall mit ihr zu unterhalten, doch es wollte ihm nicht so recht gelingen.
Die ganze Zeit hantierte er an einem Tauende herum, das er in den Händen hielt. »Habt Ihr denn nicht vom Blutbad in Linköping gehört?«
»Vom Blutbad von Stockholm habe ich wohl gehört, aber vom Blutbad in Linköping?«
»Das war im letzten März. Der große Gustav Baner, sein Bruder Sten und etliche Mitglieder der Sippen Sparre und Bielke haben ihre Köpfe während Herzog Karls Säuberungsaktion unter den Sigismund-Anhängern verloren. Viele schwedische Edelmänner flohen außer Landes, hauptsächlich nach Polen, aber auch nach Skäne. König Christian ist besorgt, daß es möglicherweise eine Auseinandersetzung geben könnte. Der Herzog trägt sich anscheinend mit dem Gedanken, König von Schweden zu werden - genauso streng und hart wie sein Vater, Gustav Wasa.«
»Aber Gustav Wasa ist doch schon längst tot! Seit mehr als vierzig Jahren!«
»Ja, aber Ihr wißt doch, daß zuerst sein Sohn Erik XIV. König war, und der wurde gefangen gesetzt und wahrscheinlich von seinem Bruder umgebracht, von Johan XIII. Nach Johan kam sein Sohn, der polnische Sigismund - und Erik und Johans Bruder, Herzog Karl.«
»Ach so. Auch dort Machtkampf, wie überall. Sind die Leute in Skäne dem Dänenkönig treu ergeben? Ich meine - so daß wir nicht riskieren, einen Dolch in den Rücken zu kriegen?« »Es besteht kein Grund zur Sorge. Jedenfalls hat er in den Jenischen gute Unterstützung.«
Sol begriff, daß Jörgen ein Junge aus der aufgeklärten Oberschicht sein mußte. Sie selbst hatte sich nie sonderlich für die Schweden und ihre Könige interessiert. Sie fragte, wer die Jenischen seien, und Jörgen erzählte ihr alles, wobei sein Gesicht abwechselnd rot und wieder blaß wurde. Die Jenischen lebten im Nordosten von Skäne, und sie waren schon immer kriegerisch gewesen. Sie wurden nach
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