Die Saga vom Eisvolk 04 - Sehnsucht
wieder dieses gelbe, katzenartige Aufleuchten in einem Augenpaar gesehen. Ich habe mich die letzten Male nicht geirrt. Eines meiner Enkelkinder ist von dem Erbe heimgesucht worden!
Eigentlich hatte er sich bereits entscheiden. Das Ungeborene mußte weg, aber auf diese Weise kam er nicht weiter. Er mußte Sunniva ein Mittel geben, ohne daß sie es merkte. Diesmal gab es keine Sol, die ihn aufhalten konnte! Aber bei dem Gedanken an Sol fiel ihm noch etwas anderes ein. Sie hatte ebenfalls versucht, ihr ungeborenes Kind zu töten - Sunniva. Doch es war ihr nicht gelungen. Und das bei Sol, die mindestens ebensolche Fähigkeiten gehabt hatte wie er selbst. Er hegte keine Illusionen mehr, was Sol anging. Er war überzeugt, daß sie mehrere Liebhaber gehabt hatte, und vermutlich hatte sie mehrere Ungeborene abgetrieben. Aber dieses Kind, hatte einen zu starken Lebenswillen gehabt.
»Macht, was ihr wollt«, sagte er kraftlos. »Aber beim ersten Anzeichen, daß mit Sunniva etwas nicht stimmt, werde ich das Kind nehmen - ist das klar?«
Damit waren alle einverstanden. Das junge Paar fiel sich in die Arme und jubelte. Yrja lächelte und lächelte, aber ihre Augen waren schwarz vor einsamem Kummer. Doch sie bemühte sich wirklich nach Kräften, sich mit den beiden zu freuen.
Tengel erhob sich und ging die Treppe zu seinem Schlafzimmer hinauf. »Aber seht zu, daß ihr schnellstens heiratet, ihr verflixten Trotzköpfe!«
Silje folgte ihm. Mühsam humpelte sie die Treppe hinauf. Er wartete auf sie und half ihr. »Sollen wir nach unten ziehen, Silje, damit du nicht immer die Treppe hoch mußt?« »Nein, das fehlt noch, das hieße ja, sich geschlagen geben. Und außerdem müßten wir dann ja wieder nach oben ziehen, wenn es mir besser geht.«
»Ja, da hast du recht«, lachte er und hoffte, daß es sich echt anhörte.
»Hast du mal daran gedacht, Tengel«, sagte sie, als sie sich auf der Bettkante niederließ. »Wenn wir unser erstes Urenkelkind kriegen, dann habe ich für mein Teil den Überblick über sieben Generationen.« »Wie meinst du das?«
»Nun, ich habe noch die Mutter meiner Großmutter gekannt. Das sind drei Generationen zurück. Ich selbst bin die vierte Generation. Und dann habe ich drei Generationen Nachkommen. Kinder, Enkelkinder und Urenkel.« »Ja wirklich, du hast recht. Das ist ziemlich erstaunlich, finde ich.« »Ja, nicht wahr?«
»Nun, dann will ich dir auch etwas verraten. Ich habe den Überblick über ganze acht Generationen! Denn ich habe sogar die Großmutter meines Großvaters noch gesehen! Sie war eine richtige alte Hexe. Und diejenigen aus der Eisvolk-Sippe, die das Erbe in sich tragen, werden sehr alt, weißt du.
Aber dafür habe ich meine Mutter nie kennengelernt, also sollte ich vielleicht nicht so herumprahlen.«
Nachdem er Silje beim Zubettgehen geholfen und ihr vor dem Einschlafen einen Becher Kräutertee zu trinken gegeben hatte, stand er noch eine Weile an ihrem Bett und beobachtete seine schlafende Frau. Sein Herz war schwer wie Blei.
Anderen kann ich helfen, dachte er. Hunderten, ja vielleicht Tausenden habe ich geholfen. Aber für sie, die ich mehr liebe als mein Leben, kann ich nichts tun. Wenn sie stirbt, kann ich auch nicht mehr weiterleben.
Die Linde draußen siecht dahin, aber noch hat sie es nicht bemerkt. Are weiß es, und Tarjei hat es gestern entdeckt. Ich habe die beiden gebeten, zu schweigen.
Tengel seufzte tief und schmerzlich. Ich kenne die Krankheit. Bald, sehr bald muß ich ihr das Bein über dem Knie absägen, damit das Übel sich nicht über das Knochenmark im ganzen Körper ausbreitet. Ich habe keine Medizin gegen diese Krankheit. Noch können meine warmen Hände ihr Linderung verschaffen, aber bald wird es jedesmal nur noch eine kurze Weile anhalten. Bald kann ich ihr auch keine stärkeren Mittel mehr geben, um die Schmerzen zu betäuben.
Manchmal war das Leben so grausam ungerecht! Silje merkte es Liv und Dag an, daß sie - obwohl sie Sunniva gegenüber sehr nett waren - sich doch eine andere Zukunft für ihren einzigen Sohn vorgestellt hatten. Nicht, daß er hätte studieren sollen, denn Tarald war Gutsbesitzer und wollte sich dieser Aufgabe voll und ganz widmen. Aber er war ein Baron - und das verpflichtete. Nicht, daß sie Standesdünkel hegten, ganz und gar nicht. Sie bezweifelten nur, daß Sunniva die richtige Herrin für Grästensholm war. Zumindest war das der Eindruck, den Silje hatte. Und das! ließ sie für Sunniva Partei nehmen, obwohl sie
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