Die Saga vom Eisvolk 04 - Sehnsucht
allerdings die Hofmeisterin, die die kleine Anna Catharine viel zu streng erzog. Wie oft hatte Cecilie das Kind nicht schon heimlich trösten müssen? Sophie Elisabeth war noch zu klein für eine Tracht Prügel, aber sie würde zu gegebener Zeit schon ihren Teil erhalten, darüber machte Cecilie sich keinerlei Illusionen. Sie selbst war daheim nie so hart bestraft worden. Und das sogar für die geringste Kleinigkeit. Für alles, was ein dreijähriges Kind ganz natürlich anstellte, gab es Schläge. Cecilie war um des Kindes willen zutiefst empört, aber sie traf auf kein Verständnis mit ihren Klagen. Ganz im Gegenteil!
Kutschen fuhren auf dem Hofplatz vor, und eine lärmende wimmelnde Menschenmenge strömte ins Schloß. Das Fest war offenbar zu Ende, aber es schien, als wollten sie unten im großen Saal weiterfeiern, nach allem, was sie hören konnte.
Cecilie blieb in ihrem Sessel sitzen. Die Nachricht vom Tod der Großeltern hatte jeden Gedanken an Schlaf verjagt. Also Tarald und Sunniva hatten geheiratet! Der Gedanke daran nagte in ihr, sie konnte sich nicht richtig freuen. Wußten sie, was sie taten, oder war es nur das Resultat jugendlicher Verrücktheit? Beide hatten ja nicht sehr viele andere junge Leute kennengelernt.
Cecilie wußte nichts von dem Kind, das Sunniva erwartete Liv hatte es nicht über sich gebracht, davon zu schreiben. Noch nicht.
Draußen im Korridor waren schnelle Schritte zu hören, und plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Ein Mann kam herein.
Er bemerkte Cecilie nicht gleich, sondern warf seinen Umhang über eine Kommode und ging leise vor sich hinpfeifend zum Kamin. Dann plötzlich entdeckte er sie. »Oh, Verzeihung«, sagte er erschrocken. »Ich wußte nicht, daß jemand hier ist.«
Cecilie verbarg schnell ihre nackten Zehen unter dem Hemd. Ihr fiel keine Entgegnung ein, dazu war sie viel zu überrumpelt.
Der Mann nahm seinen Umhang wieder an sich und schickte sich an, zu gehen. »Für gewöhnlich ist dies mein Zimmer, deshalb… Ich bitte um Vergebung. Aber Ihr seht nicht sehr froh! aus. Ist etwas Schlimmes passiert?«
Seine Stimme war so freundlich, daß Cecilie sich ein schwaches Lächeln abrang. »Alles!« sagte sie knapp. »Im Augenblick erscheint es mir nicht vorteilhaft, am Leben zu sein.« Er trat wieder näher. »Nanu, so schlimm?« sagte er verwundert. »Kann ich Euch irgendwie helfen?«
Cecilie war schon immer offen und zutraulich gewesen. »Ja, ich wäre Euch sehr dankbar, wenn Ihr ein paar Sekunden erübrigen könntet und mir erzählen würdet, daß es eine Menge Sachen im Leben gibt, über die man sich freuen kann! Ach, vergebt mir, das war eine ungehörige Bitte.« »Nein, nein«, sagte er mild und freundlich und bat um Erlaubnis, sich in den anderen Sessel setzen zu dürfen. »Wißt Ihr, ich brauche oft selbst jemanden, der mir von all dem Wertvollen erzählt, das es auf der Welt gibt.«
»Ihr?« sagte sie erstaunt. »Aber Ihr seht doch so… Ihr seht aus, als hättet Ihr alles!«
Er war ein eigenartiger Mann, ungefähr Ende zwanzig, schätzte sie. Sein Haar war dunkelbraun, über der Stirn quer abgeschnitten und ansonsten schulterlang. Es lag ein Ausdruck von Geradlinigkeit und Reinheit auf seinem männlichen Gesicht, aber die braunen Augen blickten traurig, und wenn man genau hinsah, konnte man einen bitteren Zug um seinen Mund erkennen. Seine Kleider waren ausgesprochen vornehm, aber er war ja auch auf dem Ball gewesen und hatte deshalb wohl das Eleganteste angezogen, das er besaß. »Alles?« Er lachte kurz, aber es hörte sich nicht froh an. »Nun, man kann alles haben - und doch nichts! Aber verzeiht! Mein Name ist Alexander Paladin, ich bin ein Soldat des Königs, Hauptmann der Leibgarde Seiner Majestät. Mein Großvater war der Herzog von Schwartzburg, aber ich bin nur ein Markgraf, es ist ein Titel ohne Wert.« »Paladin… bedeutet das nicht Ritter?«
Ein rasches, freudiges Lächeln glitt über sein Gesicht. »Ja, das stimmt. Und ich fühle mich auch wie einer. Leider bin ich der Letzte unserer Sippe, deshalb wird der Name wohl aussterben.«
Das muß er ja nicht notwendigerweise, dachte Cecilie, aber solche intimen Überlegungen wagte sie denn doch nicht zu äußern.
»Ich heiße Cecilie und bin die Tochter des Barons Dag Christian von Meiden«, sagte sie. »Ihr seid Norwegerin?«
»Ja. Ich bin hier, um auf die Kinder des Königs aufzupassen.«
»Aha!« sagte er langsam und lehnte sich im Sessel zurück. »Ihr seid das Fräulein, das es wagt,
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