Die Saga vom Eisvolk 04 - Sehnsucht
eigentlich mit Dag und Liv einer Meinung war. Aber es war vielleicht nur natürlich, daß sie Mitgefühl mit dem Mädchen hatte. Sie wollte, daß Sunniva sich erwünscht fühlen sollte. Selbstsicherheit und Selbstvertrauen waren Eigenschaften, von denen sie allzu wenig besaß.
Deshalb war Silje besonders freundlich zu ihr in dieser schwierigen Zeit, nachdem sich der Zorn aller plötzlich gegen die beiden jungen Leute gerichtet hatte.
Tarald sollte selbst sehen, wie er zurecht kam. Er hätte es besser wissen müssen, und oft hatte er seine Zukunft ein bißchen zu sehr als selbstverständlich hingenommen. Nun würde er erleben, wie es einem erging, der so egoistisch handelte, als ob die Welt nur für ihn da sei.
Sie hatten gedacht, daß die Hochzeit nur eine kleine, diskrete Feier für die allernächsten Angehörigen sein sollte. Aber Sunniva wollte ein großes Fest mit vielen Gästen. Trotz einer ganzen Reihe moralischer Bedenken lenkten sie ein - ihr zuliebe.
Yrja war natürlich eingeladen, aber sie sagte ab und entschuldigte sich damit, daß sie daheim auf Eikeby helfen mußte.
»Ich verstehe dich«, sagte Silje, als Yrja bei ihr war, um ihr ein wenig zur Hand zu gehen.
»Ja, Ihr, Frau Silje, wißt sicherlich, wie ich mich fühle.«
»Ja. Aber ich habe niemandem etwas verraten.«
»Ich danke Euch! Eine Zeitlang dachte ich, ich wäre darüber hinweg - als sie von dem Kind erzählten, das sie erwarten. Aber jetzt ist es wieder schlimmer geworden. Wenn er mich ansieht mit seinen dunklen, warmen Augen und mich anlächelt, als würde ich ihm etwas bedeuten, dann wird mir schwindelig und ich muß mich schnell irgendwo festhalten, um ihn nicht zu berühren.«
»Ach, ich kenne die Symptome so gut aus meiner eigenen Jugend«, lächelte Silje. »Als ich unter meiner hoffnungslosen Liebe zu Tengel litt.«
»Ja, genauso ist das. Wißt Ihr, ich kann mir nichts Peinlicheres vorstellen als das verschmähte Mauerblümchen, das an der Hochzeitstafel des Liebsten sitzt und heult. Nicht, daß ich jemals geglaubt hätte, er würde mich auf diese Weise ansehen, aber das Herz ist ein dummes Ding, nicht wahr?« »Du hast ja so recht«, sagte Silje und drückte Yrjas Hand. »Es folgt nicht der Stimme der Vernunft, soviel steht fest!« »Baronin von Meiden hat mich gebeten, in Zukunft so oft wie möglich bei Sunniva zu sein«, sagte Yrja matt. »Und ich habe es natürlich versprochen, denn Sunniva und Tarald und ich sind immer so gute Freunde gewesen. Aber ich habe solche Angst, daß es meinem törichten Herzen wehtun wird. Was ist, wenn ich weinen muß?«
Silje würde sich nie daran gewöhnen, daß Baronin von Meiden ihre Tochter Liv war.
»Wenn es unerträglich wird, dann kannst du mich vorschieben, Yrja! Sage einfach, daß ich dich um Hilfe gebeten habe. Dann kannst du zu mir kommen und dich ausweinen.«
»Danke, das ist nett. Ich will ja der süßen, bezaubernden Sunniva auch wirklich gerne zur Seite stehen. Und es scheint, daß sie sehr großes Vertrauen in meine Freundschaft setzt.«
»Das glaube ich wohl«, murmelte Silje. »Du bist ein gutes Mädchen, Yrja. Tengel ist ganz begeistert von dir.« Yrjas Gesicht erstrahlte. »Wirklich?«
»Aber sicher. Ich wünschte mir… Nein, das kann ich nicht sagen.« »Was denn?«
»Nein, das wäre nicht richtig. Wir mögen Sunniva auch sehr gern.«
So dumm war Yrja nicht, daß sie sich nicht denken konnte, was Silje beinahe gesagt hätte. Sie drehte sich rasch um, damit Silje ihren Gesichtsausdruck nicht sah.
»Ich habe versucht, meine Liebe zu überwinden«, sagte sie. »Es ist doch so töricht, wenn einer das Gesicht ganz heiß wird beim Anblick des geliebten Mannes, der ganz vernarrt in eine andere Frau ist. Der sie heiraten wird und der Vater ihres Kindes ist. Der - verzeiht, wenn ich das sage - nachts in ihren Armen liegt. Ich habe mir nie träumen lassen, daß ich so dumm sein könnte, denn ich habe immer gefunden, daß solche Gedanken irgendwie krank sind. Ach, Frau Silje, ich war so wütend über mich selbst, ich habe meinen Kopf gegen die Wand geschlagen, und ich habe versucht, mich für andere junge Männer zu interessieren - gleichgültig, ob sie mich haben wollten oder nicht. Aber etwas in meinem unvernünftigen Herzen wehrt sich dagegen. Und dafür hasse ich mich selbst.«
»Kleine Yrja«, sagte Silje zärtlich zu dem großen, plumpen Mädchen. »Das Schlimmste ist, daß du zu gut bist für diesen unreifen Bengel, der mein Enkel ist! Was sollen wir nur mit deinem
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