Die Saga vom Eisvolk 04 - Sehnsucht
erfahren. Sie hatte Tarjei in Oslo getroffen, der dort einen Tag auf sie gewartet hatte, damit sie gemeinsam heimfahren konnten. Sie kamen früher an als geplant, deshalb holte sie niemand vom Schiff ab.
In der Kutsche erzählten sie einander von ihren Erlebnissen. Natürlich fragte Tarjei sie, ob sie verliebt sei und wie vielen Verehrern sie das Herz gebrochen habe. Da erzählte Cecilie die ganze Geschichte mit Alexander Paladin, denn Tarjei und sie hatten immer über alles miteinander reden können, obwohl er fünf Jahre jünger war als sie.
Er war sehr still geworden, biß sich auf die Lippe und wollte nicht antworten.
»Was ist denn, Tarjei?« fragte Cecilie beunruhigt. »Begreifst du wirklich nichts?«
»Genau dasselbe hat Alexander auch gesagt. Du weißt es also?«
»Ja, das ist ja nicht schwer zu erraten. Bist du in ihn verliebt?«
»Ich weiß nicht. Ich mag ihn unheimlich gern.«
»Ich will deine reinen Gefühle für ihn nicht zerstören. Deshalb ist es bestimmt am besten, du bleibst ahnungslos.«
»Nein?, rief Cecilie und packte ihn am Kragen. »Jetzt will ich es wissen! Ich komme mir vor, als ob ich in einer stockfinsteren Höhle herumgehe und nach etwas taste, das sich gut anfühlt, aber es gibt so viele unangenehme Sachen zwischen den angenehmen, daß ich überhaupt nichts mehr anfassen mag.«
»Ja, das war eine sehr passende Beschreibung.«
»So? Also sag es endlich, sonst rede ich nie wieder mit dir.« »War das eine Drohung oder ein Versprechen?« neckte Tarjei sie. »Nein, im Ernst, hast du noch nie von solchen Männern wie Alexander gehört?« »Was meinst du mit solche Männer?«
Tarjei verzog sein Gesicht vor lauter Unbehagen, daß er Cecilies unschuldige Welt nun zusammenstürzen lassen mußte.
»Erwarte niemals Liebe von seiner Seite, Cecilie!« Sie sah kreuzunglücklich aus. Kroch in der Ecke des Wagens in sich zusammen. »Warum nicht?«
»Weil es Männer gibt, die… Menschenskind nochmal, kannst du dir nicht vorstellen, was der junge Hans nachts in Alex anders Zimmer gemacht hat?« »Nein.«
»Sie… O Cecilie, streng gefälligst dein Gehirn an! Es gibt Männer, die machen sich nichts aus Frauen. Sie können keine Frauen lieben. Statt dessen lieben sie Männer!« Die Worte wollten ihr nicht recht in den Kopf. Was er da sagte, war einfach unbgreifliches Zeug.
»Ich kann mir hervorragend vorstellen, daß dein Freund eine unsichere Position am Hof hat!«, sagte Tarjei brutal. »Solche Sachen werden hart bestraft. Manchmal mit dem Tod.« »Meinst du, daß…«
Ihr Gehirn war wie aus Watte. Es war unmöglich, damit zu denken.
»Ja, das meine ich«, sagte Tarjei. »Die sitzen nicht bloß da und halten Händchen!«
»Aber…«, begann Cecilie zweifelnd. »Das geht doch gar nicht? Wie sollen Männer…?«
»Das laß mal ihre Sorge sein. Ich weiß nur, daß ihre Art Liebe genauso groß und rein sein kann wie unsere, nur tausendmal verzweifelter.«
Hans? Wie hatte Hans ausgesehen? Schmal, schön - und sehr jung. Ihr Rivale? Langsam erwachte ihre Vorstellungskraft.
»Laß den Wagen halten«, murmelte Cecilie undeutlich. »Ich muß raus. Ich brauche frische Luft.«
Als sie sich Grästensholm näherten, hatte sie sich wieder geraßt. Sie und Tarjei hatten die Sache erörert, und sie wußte jetzt, daß es auch Frauen gab, die so veranlagt waren, nur anders herum. Und Cecilie spürte, daß sich ihrem naiven Verstand eine ganz neue, unverständliche Welt aufgetan hatte.
Sie wollte Alexander Paladin nie mehr im Leben wiedersehen. Den Paladin, wie er am Hof genannt wurde, nach den zwölf Rittern um Karl den Großen. »Der Paladin Christians IV.«
»Zur Hölle mit ihm?, schrie Cecilie voll hilfloser Verzweiflung, und da wußte Tarjei, daß sie das Schlimmste überstanden hatte. Sie mußten beide lachen.
Zur Überraschung aller fand Cecilie Zugang zu Kolgrims Herzen.
Wenn sie morgens zum Frühstück herunterkam, rief sie: »Na, wo ist das kleine Biest?«
Kolgrim, der bald vier wurde, hüpfte von der Bank und stürmte auf ihre Knie zu, so daß sie beinahe hinfiel. »Du liebe Güte, gibt es keine Bremsen an diesem Rammbock?« stöhnte sie und hob den Jungen auf den Arm, der vor Vergnügen kichernd ihre Haare zerwühlte.
»Hörst du sofort auf damit, du hinterlistiger Teufelsbraten!« kreischte Cecilie in gespielter Empörung, und dann begann eine wilde Jagd durch das Haus, Kolgrim vorneweg, heiser glucksend vor lauter Entzücken, und Cecilie hinterher, wobei sie alle Verwünschungen des
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