Die Saga vom Eisvolk 04 - Sehnsucht
hatte Cecilie gedacht, denn Frau Kirsten war ihnen wirklich keine gute Mutter. Sie war unbeherrscht und ungeduldig und schlug die Kinder oft grün und blau. Besonders gemein war sie zu der Älteren, Anna, denn die sah ihrem Vater König Christian ähnlich, und das konnte Kirsten Munk nicht ertragen. Hinterher mußte Cecilie die Kleine trösten, und das gute Verhältnis zwischen ihnen wurde mit der Zeit immer tiefer. Ein Trost für das Mädchen war auch, daß ihr Vater sie so sehr liebte, und auf diese Weise hatte die kleine Anna wohl dafür gesorgt, daß Cecilie als Kindermädchen für die Kleinen bleiben durfte. Der König wollte sie dort haben, Alexander wollte sie dort haben, und die Kinder selbst wollten es auch. Frau Kirsten und ihre Hofmeisterin konnten wenig dagegen ausrichten. Aber heimlich quälten sie Cecilie mit gemeinen Andeutungen, Drohungen und bösen Worten.
Daß die Kinder es dann bei Großmutter Ellen Marsvin auch nicht viel besser hatten, war eine andere Geschichte. Eines Morgens, kurz bevor sie Fredriksborg verlassen sollten, kam Cecilie in den Flügel des Schlosses, in dem die Kinder wohnten, um ihre tägliche Arbeit zu beginnen. Da sah sie die Dienstmädchen zusammenstehen und sensationslüstern miteinander tuscheln. Als Cecilie näher kam, huschten sie kichernd auseinander.
Die Hofmeisterin kam herein. »Na, da seid Ihr ja, Fräulein Cecilie. Wie geht es denn Eurem Busenfreund, dem Markgrafecn?«
Sie sprach das Wort »Busenfreund« mit höhnischem Tonfall aus.
Cecilie wußte, daß Alexander sich gegenwärtig auf Fredriksborg befand. Aber bevor sie antworten konnte, fuhr die ältere Frau fort:
»Hat er Euch immer noch keinen Antrag gemacht?« Alle Dienstmädchen brachen in ein prustendes Gelächter »Ich verstehe nicht«, sagte Cecilie verwirrt.
Die Augen der Hofmeisterin leuchteten triumphierend. »Jemand wird vielleicht ein paar Worte in das Ohr Seiner Majestät flüstern. Daß jemand einen jungen Burschen gesehen hat, wie er heute früh um vier Uhr aus dem Zimmer des Markgrafen kam.«
Alle Augen richteten sich gespannt auf Cecilie.
Sie war vollkommen durcheinander. Ja, und?, wollte sie sagen. Ich habe auch schon einen jungen Burschen dort hineingehen sehen. Schon öfter. Was soll daran so merkwürdig sein?
Aber sie konnte an ihren Mienen ablesen, daß Alexander sich in großen Schwierigkeiten befand. Spionage? Verschwörung gegen den König?
Der Ernst der Lage wurde im nächsten Moment von der Hofmeisterin unterstrichen:
»Seiner Majestät wird das nicht gefallen! Falls Majestät guter Laune ist, wird der Markgraf vielleicht nur in Ungnaden entlassen und darf auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Falls Majestät aber schlechter Laune sein sollte, dann…« Sie machte eine vielsagende Geste mit dem Zeigefinger quer über die Kehle.
Endlich war es Cecilie gelungen, sich zu fangen. Da die Hofmeisterin ununterbrochen gesprochen hatte, war niemandem Cecilies Schweigen aufgefallen.
»Es ist völlig richtig, daß Alexander Paladin vergangene Nacht Besuch von einem jungen Mann hatte«, sagte sie mit klarer Stimme. Der Markgraf war immer gut zu ihr gewesen und jetzt war es an ihr, ihm zu helfen. »Ich weiß nicht, Euch bekannt ist, daß der Markgraf seit längerer Zeit sehr von Fieberanfällen geplagt wird. Als er mich spät in der Nacht . meinem Zimmer begleiten wollte, bekam er wieder einen Fieberschub, und nachdem ich und ein junger Mann, den wir unterwegs trafen, ihn in sein Zimmer gebracht hatten, bat den Jungen, auf dem Rückweg bei mir vorbeizukommen und ein Mittel gegen Fieber zu holen, das ich besitze. Das hat der junge Mann getan, und auf mein Geheiß ging er damit zu Markgrafen. Das ist alles.«
Auf einmal merkte sie, daß der König den Saal betreten hatte. Sie knickste tief, ebenso wie die anderen.
»Das muß ja heute nacht ein ziemlicher Verkehr auf dem Korridor gewesen sein«, sagte der König trocken, und damit war die Sache erledigt.
Aber am darauffolgenden Tag wurde ein großer Strauß Herbstblumen auf Cecilies Zimmer geschickt. Dabei war eine Karte:
Ich danke Dir! Willst Du mir das Vergnügen machen, heute abend mit mir zu speisen? Dein ergebener Alexander. Am Abend hatte er ihr ein erlesenes Diner in seinem Zimmer bereitet, mit Dienern, die in Kristallgläser einschenkten und auf Porzellantellern servierten. Alexander war so voller Esprit gewesen, daß sie ihn im Verdacht hatte, hochnervös zu sein, und sie hatte versucht, ihm im selben leichten, intellektuellen Ton
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